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rieren nicht miteinander, sondern ergänzen sich viel-
mehr gegenseitig und bilden in ihrer Addition ein Surrogat der
— politisch betrachtet — vollkommensten Staatsform, des Ein-
heitsstaates.
Mit WAITZ a. a. O. S. 166 zeichnen wir also den Bundes-
staat hinsichtlich seiner juristischen Struktur folgendermaßen:
Auf gewissen Gebieten des staatlichen Lebens ist der Gesamtstaat
souverän, auf den übrigen Gebieten die Einzelstaaten ; Gesanıt-
staat wie Einzelstaaten sind wirkliche Staaten, und es ist für jeden
Staat das erste Erfordernis, daß er selbständig sei, unabhängig
von jeder fremden Gewalt; nur da ist ein zusammengesetzter,
bzw. ein Bundesstaat vorhanden, wo die Souveränität nicht dem
Gesamtstaat zusteht und nicht dem Einzelstaat, sondern beiden
zugleich, jedem innerhalb seiner Sphäre, d. ij. im Rahmen seiner
Zuständigkeit.
SEYDEL allerdings a. a. O. S. 3 wendet ein, die Staatshoheit
(Souveränität) sei ihrem inneren Wesen nach ein allumfassendes
Recht, nicht eine Summe aufzählbarer Hoheitsrechte.
Das ıst auch unsere Ansicht; aber wir müssen die Souve
ränitätals Fähigkeit und formale Eigenschaft
der Staatsgewalt unterscheiden von den einzel-
nen Hoheitsrechten, die aus ihr hervorsprießen wie aus
dem Eigentum die einzelnen Befugnisse. Die einzelnen Hoheits-
rechte sind lediglich Ausstrahlungen der Souveränität im
subjektiven und eigentlichen Sinne, nicht diese selbst; sie können
daher beliebig variieren, ohne daß ihr Ausstrahlungskörper da-
durch irgendwelche Veränderung erleidet. M. a. W. die Souve-
ränität ist ein formaler Charakter, welcher unabhängig
ist vom Wechsel der materiellenHoheitsrechte‘.
Da aber die Staatshoheit unter dem Wechsel, dem Gehen und
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® Wäre den nicht so. so mülste die Staatshoheit, so oft sich (mit fort-
schreitender Kulturentwicklung) neue Richtungen für ihre Betätigung
ergeben, jedesmal eine andere werden.