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Kommen der einzelnen materiellen Hoheitsrechte, unverändert
fortbesteht, können dieselben — auch in ihrer Summierung —
nicht ihr Wesen ausmachen. Der Kern der Souveränität muß
vielmehr in jenem konstanten Charakter bestehen, der den Ver-
lust aller materiellen Hoheitsrechte überlebt und überdauert, näm-
lich in der Fähigkeit, Hoheitsrechte zu besitzen; m. a. W.
souverän sein heißt nicht alle Hoheitsrechte haben, sondern
lediglich sie haben können:
Gleichwie auf dem Gebiete des Privatrechts die (Rechts-)
Subjektivität nicht das tatsächliche Haben von (pri-
vaten) Rechten bedeutet, sondern lediglich das potentielle
Haben, da Habenkönnen, so ist auf dem Gebiete des
öffentlichen Rechts unter Souveränität nicht das substantielle
Haben von öffentlichen, d. ı. Herrschaftsrechten zu verstehen,
sondern lediglich die Fähigkeit, die Potenz, Herrschafts-
rechte zu besitzen; wir können demnach die Souveränität
die (Rechts-)Subjektivität des öffentlichen Rechts nennen.
Im Einheitsstaat nun fällt das potentielle und das substan-
tielle Haben von Herrschaftsrechten notwendigerweise zusammen,
weil hier nur ein Herrschaftssubjekt vorhanden ist. Anders im
zusammengesetzten Staate, wo mehrere Herrschaftssubjekte
vorhanden sind, d. h. wo mehrere die Subjektivität des öffent-
liehen Rechts besitzen, nämlich Gesamtstaat und Einzelstaaten.
Hier wird es praktisch, daß die Souveränität, deren negativer In-
halt ja, wie wir wissen, die Verneinung des Untergeordnetseins
ist, nach ihrer positiven, aktuellen Seite nur eine Potenz ist,
d. b. daß ihr kein einziges substantielles Hoheits-
recht wesentlich ist: Denn im zusammengesetzten Staat
verteilen sich normalerweise die einzelnen, konkret vorhandenen
Hoheitsrechte unter die mehreren potentiellen Träger von Herr-
schaftsrechten, Reich und Einzelstaaten; und zwar privativ,
da die einzelnen Souveränitätsrechte auf betr. Gebiet nur ein-
mal in substantia vorhanden sind und sein können.