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dung? erblickt werden könnte, wenn und soweit für ihre Zeit
eine Verkündigungspflicht bestanden hat.
Wenn nun tatsächlich nicht andere als die unserem Autor
vorschwebenden Praktikabilitätsgründe daftir sprächen, das vor-
konstitutionelle Recht so zu handhaben, als ob es in der konsti-
tutionellen Aera enstanden wäre, so sprächen keine juristischen
Gründe dafür, so haben ihm lediglich politische Erwägungen eine
Brücke gebaut, so geht er bei der Rechtfertigung der — wie sich
gezeigt hat, in der Regel durchaus korrekten — Praxis auf rechts-
fremder Krücke. Für eine juristische Betrachtung gibt es im Ver-
fassungsstaat entweder geltendes oder außer Kraft getretenes
vorkonstitutionelles Recht; und damit nur entweder anwend-
bares oder unanwendbares Recht; nicht aber mit Verwahrung
anwendbares Recht, nicht ein Recht, von dem sich der Jurist
sagen müßte: „Vorderhand, bis auf weiteres und besseres ist es
anzuwenden.“
Daß sich der Verfassungsstaat das ganze BRechtsgebäude neu
errichte, ist ein Postulat der Politik und nicht der Rechtserkennt-
nis. Vorkonstitutionelles Recht ist unter den entwickelten Be-
dingungen mit der Verfassung vom Rechtsstandpunkte aus ge-
danklich vereinbar und unter dieser Voraussetzung mit dem nach
der Verfassung gesetzten Rechte juristisch völlig gleichwertig.
Ist die Staatseinheit des konstitutionellen Gegenwartsstaates
mit dem vorkonstitutionellen Staate der Vergangenheit intakt, dann
genügt nicht ihr materiell inkonstitutioneller Charakter ®®, um ihre
fortdauernde Anwendbarkeit auszuschließen, dann muß die
Rechtsordnung des Verfassungsstaates, wenn sie einen derartigen
Effekt beabsichtigt, ausdrücklich in dieser Richtung Verfügung
getroffen haben. Ist aber die Staatseinheit zerrissen, dann muß
die heutige Rechtsordnung ausdrücklich etwas dazu getan haben,
5% Sei es auch ohne Republikation,
eo Wobei noch, wie an mehreren Beispielen gezeigt, zwischen einem
Mehr und Weniger an Inkonstitutionalismus unterschieden wird.