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legt wie sie den wirklich hochadeligen zukommen, so sei doch der Rechts-
grund dieser Rechte ein anderer; es ist der Gesetzeswille des Einzelstaates
und wirke nur innerhalb seiner Machtsphäre, während die Rechte .des wirk-
lichen hohen Adels auf dem gemeinen Recht beruhen.
Diese Lehre ist die herrschende und in ihrem Grunde nicht neu; nur
wird sie von ZORN mit besonderer Schärfe und Konsequenz durchgeführt.
Aber gerade dadurch wird der schwache Punkt dieser Theorie enthüllt.
Wenn der hohe Adel Deutschlands gleichbedeutend war und ist mit dem
Adel, welcher am Reichstag Sitz und Stimme hatte, also eine Einrichtung
zur wesentlichen Voraussetzung hat, welche mit dem Wegfall des Staats,
dem sie angehörte, zu bestehen aufhörte, so ist auch sie selbst weggefallen.
Gibt es keinen Reichstag mehr, so gibt es auch keinen Sitz und Stimme
auf demselben und keine mit diesem Recht ausgestatteten Familien mehr.
Der Begriff des reichsständischen Adels ist mit dem Deutschen Reich
erloschen, oder genauer gesagt, aus einem juristischen Begriff ist ein histo-
rischer geworden, wie der Reichstag selbst. Seit dem August 1806
gab es keinen reichsständischen Adel mehr und keinen
„hohen“ Adel. Die Familien, welche „ehemals* reichsständisch waren,
bildeten historisch eine Gruppe, aber juristisch keinen Stand; sie waren
durch kein juristisch erhebliches Merkmal zusammengefaßt und durch kein
nur ihnen zukommendes Vorrecht vor allen andern adligen Familien aus-
gezeichnet. Der „hohe Adel“ als besonderer Stand existierte nicht mehr
und noch nicht; er wurde erst durch Art. 14 der Bundesakte von 1815 neu
geschaffen und es ist erforderlich, sich darüber klar zu werden, wie dies
juristisch möglich war und vor sich ging und worin eigentlich die recht-
liche Bedeutung des Art. 14 der Bundesakte bestand. Da die Bundes-
akte sowie die Wiener Kongrekakte Staatsverträge unter souveränen
Staaten waren, so konnten sie, was auch der Verfasser anerkennt, keine
Rechtssätze der einzelnen Staaten unmittelbar schaffen; sondern nur Ver-
pflichtungen der Staaten zur Schaffung gemeinsamen Rechts. Das Verfas-
sungsrecht des Deutschen Reichs, also das mit dem Reichstag zusammen-
hängende und auf ihm berubende, war definitiv für alle Zukunft fortge-
fallen, ohne die Möglichkeit, je wieder Leben zu erlangen; ein neues Recht
konnte durch die Bundesakte nicht entstehen, auch durch Art. 14 derselben
nicht, sondern nur durch einen Akt der Lande s gesetzgebung, wenn der-
selbe auch nur in der Verkündigung der Bundesakte bestand. Zu dieser
Verkündigung der Bundesakte waren die Bundesstaaten verp flichtet,
aber immerhin ist diese und nicht die Bundesakte selbst der Rechtsgrund,
auf welchem in jedem einzelnen Staate das Recht der ehemaligen reichs-
ständischen Häuser beruhte. Das Sonderrecht dieser Häuser war wie alles
sogen. Bundesrecht Landesrecht, nicht gemeines Recht, sondern überein-
stimmendes Recht der Bundesstaaten. Dieser Rechtsgrund ist also keines-
wegs verschieden von dem Rechtsgrunde, auf welchem das Sonderrecht der