— 204 —
Ebenso unbestreitbar ist aber auch die notwendige Verknüpfung
dieser Gebietsverminderung mit einer solchen des Gliedstaates.
Allerdings bestehen, da beide Staatsgewalten mit einem festum-
grenzten Kompetenzbereich ausgestattet und ein sachlicher Zu-
ständigkeitsstreit zwischen ihnen infolge Ueberordnung der Reichs-
über die Landesstaatsgewalt ausgeschlossen ist, die beiden Ge-
bietshoheiten säuberlich geschieden nebeneinander. Begriffstheore-
tisch wäre daher die Vorstellung, daß die Gebietshoheit des Reiches
ihren Platz mit einer genau an ihre Stelle und in ihre Kompetenz
eintretenden fremden Staatsgewalt vertauschte, nicht unvollziehbar.
Da aber keine Rechtsnachfolge stattfindet15, besteht keine Ge-
währ, daß die neue (fremde) Staatsgewalt sich innerhalb der
Kompetenz der alten (Reichs-)Staatsgewalt hält. Darüber be-
stimmt sie kraft ihrer Souveränität völlig selbständig. Und selbst
wenn sie jene Kompetenz innehielte, wäre die Rechtslage der
Landesgebietshoheit dennoch eine völlig andere geworden. Es
bedeutete für die preußische Staatsgewalt in Ostpreußen praktisch
sogar noch viel mehr als eine bloße Aenderung ihrer Rechtslage,
nämlich eine gänzliche Vernichtung, wenn an Stelle der Gebiets-
hoheit des Reiches dort diejenige des russischen Staates träte.
Die reinliche Scheidung zwischen Reichs- und Landesgebietshoheit
auf deutschem Boden ist also weder Grund noch Rechtstitel, ın
der Gebietsverkleinerung des Gliedstaates nicht eine unabwend-
bare Folge der Gebietsverkleinerung des Reiches zu erblicken.
Folglich müßte, damit eine solehe Wirkung rechtmäßig vom
Reiche herbeigeführt werden könnte, die Reichsgewalt auch für eine
solehe Gebietsverkleinerung des Gliedstaates zuständig sein.
Eine solche Kompetenz des Reiches ist nach dem Wort-
laut der RV. nicht begründet. Könnte das Reich denn aber
nicht seine Kompetenz gemäß Art. 78 Abs. 1 RV. auf diesen
Punkt ausdehnen? Preußen gegenüber wohl nicht; denn Preu-
155 Vgl. oben $ 1, zu III.