Full text: Archiv des öffentlichen Rechts. 37. Band. (37)

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aus abhängigen Ländern zu wahren Staaten entwickelten. Es ist also eine 
Zwischenstellung, namentlich eine Uebergangsstellung sehr wohl denkbar 
von einem staatstheoretischen Gebilde zum andern. Aber wir glauben nicht, 
daß der Fall Oesterreich-Ungarn hierher gehört. 
Wie wir nämlich früher ausgeführt haben!, ist dem Gesamtgebilde 
Oesterreich-Ungarn schlechthin jede staatliche Natur abzusprechen. Denn 
es fehlt diesem Gesamtgebilde das Grundelement staatlicher Existenz, sogar 
jeder Ansatz zu einem solchen: die ursprüngliche Herrschergewalt. Die ge- 
meinsamen Organe der Donaumonarchie sind auf Grund eines Vertrages 
von den beiden Staaten ins Leben gerufen und mit Herrschaft ausgestattet. 
Sie haben eine abgeleitete Macht. Sie sind Werkzeuge, durch welche 
die Staaten einen Teil ihrer Herrschaft gemeinsam betätigen und legen ihn 
deshalb in eine gleiche Hand: aber die Herrschaft bleibt ihre eigene; es 
wird nur die Form ihrer Ausübung organisiert. Die Herrschaft gehört deın 
Monarchen und den Parlamenten. Sie ist von ihnen verliehen und kann 
von ihnen zurückgenommen werden (eine politisch unmögliche Tat im Ver- 
hältnis Englands zu seinen Kolonien). Der gemeinsame Monarch, die gemein- 
samen Minister und die Delegationen sind Organe, die von den in sich 
fertigen, in sich selbst organisierten Staaten geschaffen sind. Sie sind nicht 
Träger, sie sind Schöpfungen der ursprünglichen Gewalt. Sie sind nicht 
Grundelemente, sie sind Produkte staatlichen Lebens. Sie sind mittel- 
bare Organe, 
Das engere, aus Königreichen und Ländern zusammengesetzte Oester- 
reich wird als Einheitsstaat gewertet, nicht wie eine Theorie es will, als 
Bundesstaat. Die Königreiche und Länder sind aber mehr als Provinzen, 
so hebt der Verfasser hervor, ohne indes zu einem präzisen, ihrer weit be- 
messenen Freiheit entsprechenden Begriff zu gelangen. Was Bosnien und 
Herzegowina angeht, so vermeidet der Autor gleichfalls eine scharfe For- 
mulierung. Es ist nicht recht einleuchtend, warum er den Begriff der Reichs- 
lande ablehnt. Denn wenn auch eingeräumt werden muß, daß die Struktur 
von Bosnien-Herzegowina in vielen Zügen von derjenigen Elsaß-Lothringens 
abweicht, so bezeichnet doch der Begriff der Reichslande deutlich, daß es 
sich um abhängige Lande eines herrschenden, wenn auch doppelten Staats- 
wesens handelt. Was endlich das Verhältnis zu Kroatien-Slavonien betrifft, 
so nimmt der Verfasser, wie bei dem Verhältnis von Ungarn zu Oesterreich, 
eine staatsrechtliche Sonderbildung an. 
Es ist ganz natürlich, daß der Verfasser in dem Rahmen seiner Arbeit 
diese Fragen nicht vertiefen konnte. Der Zweck der Arbeit ist Einführung 
in die Verfassung der Doppelmonarchie, nicht Lösung der schwierigen 
Probleme, die sie enthält. Den Leser in leicht verständlicher Darstellung 
— 
  
  
ı Abhängige Länder. 1914. Teil II. Kap. IV über Bosnien-Herzegowina. 
Ss. 208 sq-
	        
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