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besetzenden Staates im fremden Land und um die Kriegsgefange-
nen handeln.
Auch diese Fragen müssen von innen heraus erfaßt und mit
Hilfe der Rechtsphilosophie in Angriff genommen werden, z. B.-
was die Beziehun:en zwischen Recht, Moral und Macht anbetrifft.
Gewise Grundpfeiler tragen den Aufbau rechtswissen-
schaftlicher Begründung auch auf diesem Gebiete: so die (Rechts-)
Grundsätze von Treu und Glauben ım Verkehr, vom
aequum et bonum, von der Pflege wahrer Kultur und
Humanität.
Völkerrechtliche Verträge haben eine Seite nach außen und
als Recht des vertraeschließenden Staates eine Seite nach innen.
Beide Seiten sind aber nicht in dem Sinne losgelöst und lösbar
von einander, daß der einzelne Staat von sich aus den inneren
Rechtszustand verändern könnte, ohne sich mit der Vertragstreue
nach außen in Widerspruch zu setzen. Mit Recht weist auch der
oben erwähnte NEUBERGsche Aufsatz: „Noch einmal das Völker-
recht“ darauf hin, daß ein Staat, der sich entsprechend seinem
schon beim Vertragsschluß vorhandenen Hintergedanken (inneren
Vorbehalt) bei gegebener Gelegenheit auf die Nichterzwingbar-
keit des Völkerrechts berufen und so seiner vertragsmäßigen
Bindung entschlagen würde, gegen das Sittengesetz ver-
stoßen würde, welches auch den Völkerverkehr beherr-
schen muß.
Weiterhin gibt es auch im Völkerverkehr Zwangsmaßnahmen
mittelbarer und unmittelbarer Art — darunter das wichtige, durch-
aus völkerrechtliche Mittel des Kriegs.
Beim Kriegsausbruch 1870 stand die Völkerrechtswissenschaft
auf einer tieferen Entwicklungsstufe als jetzt. Nach dem der-
zeitigen Stand der Rechtswissenschaft und ihrer Sittenlehre ver-
wirft man die allgemeine Gültigkeit des Satzes, daß die völker-
rechtlichen Verträge nur „rebus sic stantibus“ zu gelten hätten;
man erkennt diesen Satz nur noch als Ausnahmesatz an. Dies ist