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soviel Berechtigung wie etwa die kausale Erklärung geometrischer Sätze
in der Mathematik. Die Behauptung, daß eine Rechtsenorm, ein privates
Rechtsgeschäft oder ein sog. Staatsakt Rechtsverhältnisse „erzeuge*, „be-
wirke“, „konstituiere* usw., hätte ihr methodologisches Gegenstück in der
Behauptung des Mathematikers, daß die Gleichheit der Seiten eines Drei-
eckes die Gleichheit seiner Winkel (und umgekehrt) „entstehen lasse“, „er-
zeuge“, „bewirke* usw. Bei ihrer so oft mit Recht beklagten, durchaus
mangelhaften philosophischen Bildung verwechseln nämlich unsere heutigen
Juristen zwei grundlegende Denkkategorien: die der Ursache (causa
efficiens) und des logischen Erkenntnisgrundes (ratio suffciens).
Nur der letztere hat in der theoretischen Rechtserkenntnis Bedeutung und
Berechtigung. An dieser prinzipiellen, methodologischen Wahrheit orien-
tiert, würde die offizielle Rechtswissenschaft zu ganz anderen, und m. E.
konsequenteren Konstruktionen gelangen. Ohne große „Umwälzungen*®
würde es dabei allerdings nicht abgehen; die Angst vor solchen Umwälzun-
gen kann aber für den wahrheitssuchenden Theoretiker kein genügender
Grund sein, um ihnen aus dem Wege zu gehen. (Als erster Schritt zu
diesem Ziele sei das Studium von KELSENs grundlegendem, von der offi-
ziellen Rechtswissenschaft bisher unwiderlegten Werke: „Hauptprobleme
der Staatsrechtslehre® empfoblen.) —
Wenn nun der Referent zum Schlusse bemerkt, daß die hier bespro-
chene LAYersche Schrift durchaus die ausgetretenen Pfade der herrschen-
den Anschauungsweise wandelt, ohne ihre Haltbarkeit kritisch zu prüfen,
so soll dies in aiesem Falle keinen Vorwurf für den Verfasser bedeuten:
Im Rahmen einer relativ kurzen Monographie ist dies nicht anders zu
machen. Ihr eigentlicher Wert beruht, wie der Referent mit Vergnügen
zugibt, in der übersichtlichen Darstellung der herrschenden Ansichten; auch
für das zweite, „praktische“ Kapitel derselben werden sich gewiß Liebhaber
finden. Prof. Dr. Franz Weyr.
Niedner, Johannes, Recht und Kirche. Sonderabdruck aus der Fest-
schrift für Dr. RUDoLF SoHM, München u. Leipzig. Duncker & Hum-
blot (1914) 40 S.
Verf. geht in dieser Untersuchung vom Satze SonMs aus, daß das
Wesen der Kirche jede kirchliche Rechtsordnung ausschließt (8. 275 ff. der
Festschrift). Dies gibt NIEDNER Anlaß, zu den modernsten Problemen,
nämlich jenem der Rechtsbildung und der Freirechtslehre Stellung zu
nehmen. NIEDNER betont äußerst zutreffend die Gesetzmäßigkeit der
Rechtsbildung (S. 281), wie ich sie fast gleichzeitig in dem im Oktober 1914
abgeschlossenen I. Teil meiner Körperschaftslehre (Gesetze der Willens-
bildung bei Genossenschaft und Staat S. 58 ff.) behandelt habe.
Das Recht ist ihm in seiner Entwicklung „ein völkerpsychologischer
Prozeß, eine objektive Erscheinung im menschlichen Zusammenleben, die