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einem Zusammenbruch des Völkerrechts reden läßt. Und doch
ist es vorläufig nur ein Bild. Schon jetzt von einem Zusammen-
bruch des Völkerrechts zu reden, halte ich für voreilig. Ob das
bis zum Kriege bestehende Kriegsvölkerrecht zusammengebrochen
ist, kann erst das Ende des Krieges selbst ergeben. Strafrecht-
lich gesprochen, ist der Verbrecher noch am Werke, man kann
seiner mit den Machtmitteln der das Rechte vertretenden Gegen-
seite nicht habhaft werden. Aber wenn irgendwo, so wird in
diesem Kriege und in dieser Anwendung der Satz zur Geltung
kommen: Die Weltgeschichte ist das Weltgericht und jener an-
dere Satz HEGELs: „In der Weltgeschichte erhält dasjenige Mo-
ment der Idee des Weltgeistes, welches gegenwärtig seine Stufe
ist, sein absolutes Recht und das darin lebende Volk und dessen
Taten erhalten ihre Vollführung und Glück und Ruhm.“ In uns
lebt der unerschütterliche Glaube, daß wir und die uns waffen-
brüderlich verbundenen Nationen die Völker sind, die den der Zeit
gemäßen Weltgeist vertreten, also auch den Geist des richtigen
Völkerrechts, und daß die Epoche der Gegner, die einen anderen
Geist des Völkerrechts für richtig halten, abgelaufen ist. Das be-
sagt nun nicht, daß jede einzelne Völkerrechtsverletzung ihre
Ahndung finden muß. Es besagt nur, daß auf unserer Seite —
ob über kurz oder lang, ist gleichgültig — aus dem Kriege die
Macht erwächst, die vor dem Kriege erreichte Stufe des Kriegs-
völkerrechts festzuhalten und es von da aus weiter zu ent-
wickeln.
Daß das Kriegsvölkerrecht, soweit es in dem Werk der Haager
Friedenskonferenzen enthalten ist, noch recht mangelhaft ist, dar-
über ist man ja wohl mit der Zeit einig geworden. Nicht genug
wundern muß man sich aber iınmer wieder, wie man sich mit der
sog. Allbeteiligungsklausel, neuerdings von MÜLLER-Meiningen
Solidaritätsklausel genannt, ein so zerstörlich wirkendes Moment
in das eigene Werk hineintragen konnte. Danach sollen die Be-
stimmungen der Landkriegsordnung und die des 4. Abkommens
Archiv des Öffentlichen Rechts. XXXVII. 4. 29