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völkerrechts, so bliebe immer noch die Möglichkeit eines ge-
schlossenen Zusammengehens der Mittelmächte und ihrer An-
hänger auf den alsdann unvermeidlichen großen Konferenzen und
deren gemeinschaftliche sorgfältige Vorbereitung übrig.
Auch in diesem Falle würde man nach Möglichkeit dahin
streben müssen, ein ausgebautes Recht zustande zu bringen. Dem
Kriegsvölkerrecht fehlt die gesetzauslegende Tätigkeit der Ge-
richte, die das Gesetz ım Laufe der Zeit zu immer größerer Voll-
kommenheit hebt. Wissenschaftliche Auslegung allein genießt im
völkerrechtlichen Verkehr nicht die erforderliche Autorität. Die
internationale Schiedsgerichtsbarkeit hat bisher einen viel zu ge-
ringen Umfang gehabt, um einen Einfluß zu äußern. Unser Ver-
treter auf der letzten Haager Konferenz, der Botschafter Freiherr
VON MARSCHALL, hat einmal da in Anwendung auf die mageren
Vorschläge hinsichtlich der internationalen obligatorischen Schieds-
gerichtsbarkeit gesagt, es genüge nicht, ein Prinzip aufzustellen,
man müsse auch die Einzelheiten regeln, um die Anwendung zu
sichern, es genüge nicht, eine maison mondiale mit einer schönen
Fassade herzustellen, sondern man müsse auch dafür sorgen, daß
die Länder der Welt darin gut und in Eintracht wohnen könnten.
Das gilt auch für das materielle Recht. Legt der eine das Ge-
setz anders aus, als der andere der „hohen vertragschließenden
Teile“, so ist im Kriege jede Möglichkeit dahin, ihn zur rich-
tigen Auslegung zu bringen. Böswilliger und hinterhältiger Inter-
pretation ist damit Tür und Tor geöffnet. Dem muß ein Riegel
vorgeschoben werden. Nachdem die Fülle der Ereignisse des
Weltkrieges wohl fast alles, was als völkerrechtlicher Tatbestand
in Betracht kommt, hat in Erscheinung treten lassen, würde es
möglich sein, die Kodifikation erheblich weiter zu treiben, als es
bisher geschehen ist. Von einer kleineren festen Gemeinschaft
aus läßt sich das viel besser erreichen, als in der maison mon-
diale von 1907.