Full text: Archiv des öffentlichen Rechts. 37. Band. (37)

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die lebendige Erscheinung des Völkerrechts zu beseitigen, das auf Vertrag 
und Gleichordnung der Kontrahenten ruht. Wieviel Tausende von Einzel- 
verträgen sind geschlossen worden zwischen Mächten, ohne daß eine der 
anderen an Kraft bedeutend überlegen war und olıne daß die übrigen Mächte 
Interesse und Absicht hatten, diese Verträge zu garantieren. Der Verfasser 
hebt selbst hervor, „daß die Autorität der Großmächte beschränkt ist, daß sie 
sich bloß auf einige Fragen bezieht, während die Großmächtein bezug auf die 
große Mehrheit der Angelegenheiten, die zwischen den einzelnen Staaten ent- 
stehen mögen, nicht den Anspruch erheben, gehört zu werden“ (S. 158). Die 
Formel des Verfassers ist also außerstande, den allergrößten Teil des Völker- 
rechts zu erklären. Aber weiter, sie steht auch mit dem Inhalt des Völkerrechts 
in striktem Gegensatz. Will man dem Verfasser folgen, so muß man die wich- 
tigsten Grundlehren des Völkerrechts opfern: die Idee von der Gleichheit 
und der Unabhängigkeit der Staaten und die daraus folgende Idee von der 
Unzulässigkeit der Intervention. Führt aber ein Begriff dazu, den durch 
Jahrhunderte erworbenen und anerkannten Schatz der Völkerrechtsnormen 
zu leugnen, so kann dieser Begriff nicht richtig sein. Dagegen wird der 
Verfasser einwenden: Man darf nicht aus dem Inhalt des Rechtes auf seinen 
Begriff schließen. Und damit verficht er eine prinzipielle Auffassung, die 
sich durch sein ganzes Buch bindurchzieht ($ 3). Ich möchte demgegen- 
über an der Ansicht festhalten, daß der Begriff des Rechtes nur durch Ab- 
straktion aus seinem Inhalt gefunden werden kann. Und wenn ich im Gegen- 
teil unternehmen wollte, den Begriif des Rechtes aus sich selbst zu erklären, 
so würde ich besorgt sein, über die „Metajurisprudenz® (S. 1) hinauszugehen 
und in die juristische Metaphysik zu verfallen. 
Gehen wir zum Kirchenrecht. 
Das Recht, sagt der Verfasser, unterscheidet sich von den bloßen Konven- 
tionalnormen dadurch, daß es von der Rechtsmacht, d.h. von der höch- 
sten Macht herrührt. „Damit eine Macht die höchste in dem hier ge- 
brauchten Sinne des Wortes sei, ist es notwendig, daß sie ihre Gebote in 
einem bestimmten Kreise von Menschen gewöhnlich und erfolgreicher als 
andere Mächte durchzusetzen imstande sei“ (S. 86. 93). Diese höchste Macht, 
so wird behauptet, ist das Kennzeichen des Staats (S. 251). 
Aus dieser Anschauung zieht der Verfasser folgende Konsequenzen: 
Wenn die kirchliche Macht zugleich die höchste irdische Macht besitzt, wenn 
sie also Rechtsmacht ist, dann sind ihre Normen wahre Rechtsnormen 
(Theokratie, Hierokratie). Wenn aber die kirchliche Macht einer Rechtsmacht 
unterstellt ist, dann sind zwei Fälle möglich: Entweder die Rechtsmacht 
verleiht den Normen der ihr unterstellten kirchlichen Macht den Rechts- 
charakter; das Kirchenrecht ist dann eine besondere Art des staatlichen 
Verwaltungsrechts, Geschiebt das nicht, dann sind die Normen der Kirche 
nicht Rechts-, sondern bloße Konventionalnormen. Mit einem Wort, für den 
Verfasser ist das Recht untrennbar verwachsen mit dem Staat. Die Kirche
	        
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