_ 46 —
nicht einmal mit allen wichtigen Kautelen des primären Notver-
ordnungsrechtes ausgestattet wäre. Eine Abnahme der staats-
rechtlichen Energie bei der Uebertragung wäre hier formell nicht
festzustellen. Denn es gibt hier nur ein „Entweder — Oder“. Auch
inhaltlich ginge dieses Verordnungsrecht überdies bedeutend weiter
als das Reichsdeutsche. Denn wie schon beim primären Notver-
ordnungsrechte der österreichischen Krone selbst fehlt hier im
Gegensatze zum wirtschaftlichen Notverordnungsrechte des deut-
schen Bundesrats jede Beschränkung auf bloße Abwehr von Schäden.
Die Regierung darf ohne solchen Vorbehalt also freischöpferisch
tätig werden, sobald es sich nur wirtschaftlich als notwendig er-
weist. Mit der Annahme eines echten Notverordnungsrechtes der
österreichischen Regierung in diesem Sinne wäre jedenfalls die
Folgerung nicht abzuweisen, daß dieses Recht nach Grundlage,
Fassung und Umfang mit ausgesprochen „diktatorischen * Elementen
durchsetzt ist. Die wirkliche Ausbildung und Entfaltung einer sol-
chen wirtschaftlichen Diktatur hängen natürlich ganz vom Gebrauche
dieser Bestimmung ab als dem wichtigsten Prüfstein, ob all dies
auch wirklich so gemeint war. Die österreichische Praxis zeigt
nun freilich keine reinen Linien. Bald wurde die Ermächtigung
in vollem Maße ausgeschöpft, bald wieder und sogar recht häufig
keineswegs. Bei vorsichtiger Würdigung der Handhabung läßt
sich daher allgemein nur sagen, daß sich die österreichische Regie-
rung bewußt gewesen ist, an dieser Ermächtigung ein volles Not-
verordnungsrecht zu besitzen, das mit Vorliebe in Anspruch ge-
nommen wurde, wenn es galt, allgemeinen Rechtsgrundsätzen ent-
gegen die vom Bedürfnisse verlangten Bestimmungen zu erlassen,
ohne geradezu bestimmten gesetzlichen Vorschriften zu derogieren
oder die Geltung zeitweise zu entziehen. Auf dieser Grundlage
sind viele (vielleicht sogar die Mehrzahl der) Höchstpreis- und
Verkehrsverordnungen erlassen worden und zwar mehrfach nur
von den nächstbeteiligten Ministern, nicht etwa vom Gesamtmini-
sterium, das die primären Notverordnungen der Krone als solches