sie sein Wissenschaftskollege von der Historie oder Politik ver-
steht. Nur muß er sich eben — dies zu übersehen ist seine
große wissenschaftliche Gefahr — immer gegenwärtig halten, daß
er mit diesen Namen nicht nur etwas vom historisch-politischen
Begriff Abweichendes, sondern auch etwas in sich Verschiedenes
bezeichnet, daß ihm dieser. eine Name oft nicht eine Einheit
sondern eine Mehrheit und in anderen Fällen denkbarerweise
doch auch wieder nur den Teil einer als Staat im Rechtssinn zu
bezeichnenden Erscheinung ausdrückt.
Um ein Beispiel für diese wenigen, aber doch viel behaupten-
den Aufstellungen anzuführen, sei vorweg gleich jenes herange-
zogen, welches uns weiterhin noch eingehend befassen soll:
Oesterreich als historisch-politische Individualität ist wenig-
stens schon Jahrhunderte alt, wenn man es nicht bereits gar auf
ein Jahrtausend zurückdatieren will; das Oesterreich des Jahres
1817 ist für eine historisch-politische Betrachtung —
wenn auch nicht in toto identisch — so doch „dasselbe“ wie das
Oesterreich des Jahres 1917. Der Jurist wird praktisch wohl
niemals in die Lage kommen, einen Jahrtausende tberdauernden
Staat — was er eben einen Staat zu nennen hat — festzustellen;
auch das Jahrhundert überdauert nur schwer jene Form, die den
Staat im Rechtssinn abgibt. Für eine juristische Betrachtung ist
das Oesterreich von heute ein ganz anderer Staat geworden als
es das Oesterreich vor 100 Jahren war; nicht nur,.das Aeußerliche,
nein gerade das Wesen dessen hat sich geändert, das einen Staat
im Rechtssinne als fortbestehend anzunehmen erlaubt; von einer
Fortdauer des Oesterreich, das vor 1000 Jahren gegründet wurde,
bis in die Gegenwart kann juristisch noch um viel weniger die
Rede sein. Wo die historisch-politische Betrachtung noch Identi-
‘ tät wahrnimmt, da zeigt sich der juristischen Betrachtung vielfach
bereits Wesensverschiedenheit. Anders ausgedrückt: Der Jurist
wird oft bereits zwei oder noch mehr Staaten (im Rechts-
sinn) unterscheiden müssen, wo der Historiker und Politiker noch