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der lex posterior aus und glaubt damit das Problem gelöst zu
haben, obwohl er es, ohne es um einen Schritt der Lösung näher
gebracht zu haben, nur auf ein anderes Geleise verschoben hat.
„Lex posterior derogat priori.* Ja welchem früheren Ge-
setze derogiert das spätere? Auf der Erdoberfläche wird viel Wi-
dersprechendes als Recht gesetzt. Soll jedes beliebigen Staates
Recht, nur weil es zeitlich später kam, dem eines anderen Staates
derogieren können? „So ist der Satz doch nicht gemeint“ — ist
wohl das einstimmige Urteil gegenüber einer bloßen derartigen
Frage. Aber auch so, wie er in Wirklichkeit gemeint ist, kann
er um nichts rationeller erscheinen. „Selbstverständliich — wird
man sagen — gilternur innerhalb desselben Staates.“
Aber unter einem und demselben Staate versteht man dabei alles
das, was unter dem Gesichtspunkt eines historisch-politischen Staates
als solcher, als ein einziger Staat erscheint. An der historisch-
politischen Staatseinheit wird ohne Bedenken mit dem
Satze von der lex posterior operiert, diese Voraussetzung wird
stillschweigend als unantastbar behandelt. „Wie könnte man denn,
wenn man auf das Erkenntnisprinzip der lex posterior verzichtete,
im Rahmen einer solchen bistorisch-politischen Gegebenheit, welche
die widersprechendsten Verfassungen umfaßt, zur Erkenntnis einer
Rechtseinheit gelangen?“ „Warum muß aber“ — dies die hier ge-
stellte Gegenfrage — „just eine der historisch-politischen Staats-
einheit entsprechende Rechtseinheit hergestellt werden, die ja doch
bei der Irrationalität des angewendeten Mittels nur eine schein-
bare sein kann? Woher nimmt man dieses mit solchem außer-
ordentlichen Unifizierungseffekt ausgestattete Konstruktionsmittel?“
Nun, es ist ein denklogisches Prinzip! Ist es aber ein denklogi-
sches Prinzip, dem doch offenbar allgemeine Gültigkeit zukommt,
_— warum wendet man es dann nicht auf die Rechtsordnung jedes
beliebigen Staates an? Es eignetsich, sagt man, nur zur Herstel-
lung der Rechtseinheit innerhalb eines und desselben Staates?
Ja woher nimmt man denn die Voraussetzung, daß man es näm-