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gibt DERNBURG den Stand der zu seiner Zeit (und man kann
wohl auch sagen: bis heutzutage) herrschenden Rechtslehre dahin
wieder ?1: „Die neuere Theorie und Praxis erkennt die derogato-
rische Kraft jtingerer Gewohnheiten gegenüber älteren Gesetzen
an. Man kann sich hiefür auf das kanonische Recht stützen,
welches dem Gewohnheitsrecht zwar die Kraft versagt, natürliches
und göttliches Recht umzustoßen, nicht aber positive Gesetze zu
beseitigen. Es entspricht aber auch der Erfahrung, daß die Ge-
setze der zerstörenden Einwirkung entgegengesetzter Gewohnheiten
mit der Zeit unterliegen“ 2%. Was vom späteren Gewohnheitsrecht,
das gilt aber um so mehr vom späteren Gesetzesrecht! „Gesetze ver-
lieren ihre Wirkungskraft (ist für DERNBURG mit „Geltung“ gleich-
bedeutend !) entweder aus Gründen, die in ihnen selbst liegen,
oder durch neuere Gesetze. Unter Gesetz verstehen wir jede
Rechtsnorm.“ (Also insbesondere auch das schon vorher ex
professo behandelte Gewohnheitsrecht, aber selbstverständlich auch
das Gesetz im formellen Sinn.)* ... In der Regel verlieren die
Gesetze ihre Kraft nur durch widersprechende jüngere Gesetze.
Dies soll der Satz ausdrücken »lex posterior derogat priori«“ 23 #4,
22 Pandekten, 5. Aufl. I. Bd., S. 64.
22 Eis wird hier „wirken“ und „gelten“ verwechselt. Zwar ist es sehr
leicht möglich, daß Gesetzesrecht kraft entgegenstebender Gewohnheiten
nicht mehr angewendet wird, was aber nichts daran ändert, daß es trotz-
dem angewendet werden sollte (vgl. insbesondere KELSEN a. a. O. S.41f.).
23 ]. A D de const. princ., 1, 4.
24 Die österreichische Privatrechtsliteratur teilt diesen Standpunkt un-
eingeschränkt.
PrFArFr-KRAINZ-EHRENZWEIG, System des österreichischen Privatrechts,
spricht es (1. Bd. S.32) wie ein Dogma aus: „Die Dauer der Wirksamkeit
(eines Gesetzes) erstreckt sich bis zur Aufhebung des Gesetzes durch den
Gesetzgeber.“ Er beruft sich dabei auf das österr. bürgerliche Gesetzbuch
(8 9), von dem er, da wir von ihm ja durch mehrere Verfassungen getrennt
sind, deren gegenseitige Widerspruchslosigkeit der beste Interpretations-
künstler nicht beweisen könnte, erst zu beweisen hätte, daß es heutigen-
tags noch gelte. Wenn freilich der Satz von der lex posterior ein denk-
logisches Prinzip ist, dann erfordert der Mangel einer lex posterior gegen-
über dem bürgerlichen Gesetzbuche die Annahme seiner unveränderten