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jeweiligen Stande der Wissenschaft entsprechen, auch wenn die
Anschauungsweise des Gesetzgebers seinerzeit eine andere ge-
wesen ist. Alles in Allem: eine Verfassung wird, den sonstigen
Gesetzen eines Staates gegenüber, gekennzeichnet nicht durch einen
unbedingten Mangel, wohl aber durch ein geringeres Mass von Ver-
wandlungsfähigkeit; dieser Unterschied ist allerdings nur ein
quantitativer, kein qualitativer, und hat vielfach dazu geführt,
ıhn überhaupt nicht ausdrücklich anzuerkennen. Aber trotzdem
hat man überall, wo eine Verfassung eine urkundliche Auf-
zeichnung in einem Grundgesetze erfahren hat, versucht, durch
die darin aufgenommenen Bestimmungen über die Abänderung
desselben, diesem eine grössere Beständigkeit zu sichern, als
andern Gesetzen; und ebenso ist es da, wo eine geschriebene
Verfassung als solche nicht vorhanden ist, Gewohnheitsrecht
geworden, in denjenigen Grundsätzen, welche man im engern und
eigentlichen Sinne unter der Verfassung begreift, eine Aenderung
eintreten zu lassen, nicht schon aus Gründen der blossen Zweck-
mässigkeit, sondern nur mit Rücksicht auf eine unbedingte, all-
gemein vorherrschende und längere Zeit hindurch anhaltende
Ueberzeugung von der Unzulässigkeit oder gar Schädlichkeit des
Bestehenden. Durch diese Theorie wird das Staatsgrundgesetz
nicht zu einem „Chinesischen Schuh“ gemacht; aber die Wand-
lungsfähigkeit, „die Elastizität“ desselben bestimmt sich nicht nach
dem oft täglichen Wechsel der praktischen Bedürfnisse, sondern
nach dem sich um Vieles langsamer vollziehenden Umschwunge
in den grossen und letzten Fragen der Staats- und Rechtswissen-
schaft, die aber als solche freilich befriedigend nur gelöst werden
können im engsten Anschlusse an die unabweisbaren Forderungen
des praktischen Lebens. —
. Was sodann die Behandlung des amerikanischen Verfassungs-
rechtes insbesondere anbetrifft, so erscheint es ausserordentlich
verführerisch, hier ganz allgemein diejenigen Gesichtspunkte zu
entwickeln, nach welchen die Darstellung fremder, in aktueller
Geltung befindlicher Staatsverfassungen überhaupt sich zu richten
hat; allein damit würde bei weitem der dieser Abhandlung zu
bewilligende Raum überschritten werden, und nur so viel ist hier
hervorzuheben, dass es sich in der Regel für den Ausländer em-
pfehlen wird, nicht die selbstverständlich den einheimischen
Schriftstellern immer mehr geläufigen Einzelheiten fremder Rechts-