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des Gesetzgebers so eng gezogen wurden als irgend möglich,
brachten es von vornherein mit sich, dass nicht daran zu denken
war, das Reichsgericht in ähnlicher Weise zu einem Oberaufsichts-
gerichte für sämmtliche deutsche Gerichte zu machen, wie die
erwähnten höchsten Gerichtshöfe Englands und Frankreichs ?),
sie brachten es mit sich, dass das Reichsgericht wesentlich unter
dem Gesichtspunkte zu konstruiren war, durch die ihm zuge-
wiesene letztinstanzliche Entscheidung die einheitliche Rechts-
auslegung zu garantiren und die Zersplitterung des
Rechts durch die abweichende Rechtsprechung verschiede-
ner letztinstanzlicher Gerichte zu verhüten. Es wird dies von
dem Gesetzgeber deutlich ausgesprochen?). Von diesem Gesichts-
punkte aus musste aber der Gesetzgeber die zivil- und straf-
rechtliche Thätigkeit des höchsten Gerichtshofes verschieden be-
handeln. Es musste dies namentlich um desswillen geschehen,
weil die Gestaltung und Entwicklung des deutschen Strafrechts
durchaus von der des Zivilrechts verschieden war und ist.
Während das deutsche Strafrecht seit der Begründung des Nord-
deutschen Bundes sich in kräftig unitarischem Sinne ent-
wickelt hatte, während auf strafrechtlichem Gebiete hierdurch
eine Rechtseinheit, wenigstens in Ansehung der wichtigsten
Materien des Strafrechts, so gut wie erzielt worden wart), war
auf dem Gebiete des Zivilrechts, abgesehen von den oben ge-
nannten grösseren und kleineren Kodifikationen, noch keine
einheitliche Gesetzgebung und Rechtsbildung, sondern nur die
Ansätze zu solchen vorhanden und der Gesetzgeber musste dess-
halb mit der reichsten Fülle des vorhandenen partikularen Rechts
rechnen. Die Motive schildern diese Verschiedenheit der straf-
und zivilrechtlichen Verhältnisse sehr treffend °). Jedes Wort
derselben lässt den Grundgedanken des Gesetzgebers in vollster
Deutlichkeit erkennen, die Einheit der Rechtsanwendung
durch das Reichsgericht zu sichern, und die Bestimmungen
des Entwurfs entsprachen diesem Gedanken in jeder Beziehung
so vollkommen, dass weder die Kommission noch das Plenum
des Reichstags einen Grund hatte, irgend eine Veränderung an
?2) Vgl. unten die Darstellung der Organisation dieser Gerichte.
3) Vgl. Haun, a. a. O. I. S. 382, S. 657, II. 8. 968.
*, Bınpine, Handbuch des Strafrechts, S. 53, 54, 97, 101.
6) Hann a. a. 0.1. S. 40.