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ihnen vorzunehmen. Bei Anwendung dieses Grundgedankens
auf die zivilrechtlichen Verhältnisse musste aber der Gesetzgeber
in Erwägung ziehen, dass nicht in Ansehung jedes in irgend
einem Rechtsgebiet des deutschen Reichs geltenden Zivilrechts-
satzes das Bedürfniss besteht, denselben der einheitlichen Aus-
legung durch das höchste Gericht des Reichs zu unterziehen.
Gibt es doch eine grosse Anzahl von Zivilrechten, deren Geltungs-
gebiet ein so kleines ist, dass von einer Verschiedenheit der
Auslegung gar nicht gesprochen werden kann. Der Gesetzgeber
musste also die Kompetenz des Reichsgerichts, wollte er dasselbe
nicht in völlig zweckloser und sogar positiv schädlicher Weise
mit der Auslegung auch des nur in den beschränktesten Gebieten
geltenden Rechts befassen, lediglich auf die Entscheidung solcher
Zivilrechtssachen beschränken, in welchen es sich um die An-
wendung und Auslegung von Rechtsnormen handelt, deren ein-
heitliche Interpretation im Interesse weiter Kreise liegt. Es war
kein Zweifel, dass hierher ın erster Linie alles Reichsrecht zu
‚zählen war; ın zweiter Linie war alles Zivilrecht dahin zu rechnen,
welches nicht lediglich in dem Bezirke des Öberlandesgerichts,
dessen Urtheil angegriffen wird, Geltung hat, sondern auch in
anderen Bezirken. Ausserdem wurde aber für gut befunden, das
Reichsgericht im Wege kaiserlicher Verordnung, auch in An-
sehung solcher Rechtsnormen zur Entscheidung in letzter Instanz
zu berufen, welche sich in Gesetzen und Rechten vorfinden, die
keine über das Gebiet eines Oberlandesgerichts hinausreichende
Geltung besitzen, und als Korrelat wurde bestimmt, dass gleich-
falls durch die kaiserliche Verordnung verfügt werden könne,
dass in Ansehung solcher Gesetze, denen diese Eigenschaft nicht
abgeht, gleichwohl die reichsgerichtliche Kompetenz ausgeschlossen
sei. Alle diese Bestimmungen sind nur konsequente Durchfüh-
rungen des Grundgedankens, dass das Reichsgericht zur
Wahrung der Rechtseinheit berufen ist und dass es desshalb
auch nur mit solchem Rechte befasst werden soll, welches im
weitern, engern oder engsten Sinn einheitliches Recht ist. Ent-
sprechend diesen prinzipiellen Anschauungen waren auch die
Detailbestimmungen gehalten. Der Gerichtshof des Reiches kann
nur von dem Träger der Reichsgewalt besetzt werden. Da das
Reich der Inhaber der Gerichtsherrlichkeit ist, kann auch nur
der Repräsentant des Reichs die einzelnen Richter zur Ausübung