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waltige und es darf auf sie in einer Zeit aufmerksam gemacht
werden, in der man, wie es scheint, das tiefere Verständniss für
den nationalen Werth der Rechtsinstitutionen verliert.
Auch das alte Reichskammergericht hatte einen gewissen Werth
in nationaler Hinsicht, trotzdem in seiner Besetzung die stän-
dischen und religiösen Interessen eine so bedeutsame Rolle
spielten, trotzdem seine Kompetenz, weder in der Extensität
noch in der Intensität der des Reichsgerichts gleichkam. Das
heutige Reichsgericht wird nicht mit Rücksicht auf die Religion
der Richter besetzt und ständischen Einflüssen steht kein Weg
zu ihm offen. Im Namen des Reichs ernennt der Kaiser die
judices imperii und kraft der Gerichtsbarkeit, welche dem Reiche
zusteht, wird von ihnen die Rechtsprechung gehandhabt. Die
untern Gerichte sind verpflichtet, die Ansichten des Reichsgerichts
in einer bestimmten Sache anzuwenden und keinerlei salvatorische
Klausel gibt den Gerichten eines Landes ein Recht, sich in
Widerspruch mit der Rechtsauffassung zu setzen, welche das
höchste deutsche Gericht in einem Falle als voluntas legis aner-
kannt hat. Das Reichsgericht ist das Schlussglied in der
Kette der deutschen Gerichtsorganisation, es ist ein Gericht für
das ganze Reichsgebiet und diese nationale Bedeutung
tritt auch in der Gerichtsbarkeit über den Hoch- und Landes-
verrath, begangen gegen Kaiser und Reich, besonders deutlich
hervor. Verbrecherische Antastungen der höchsten Rechts-
güter des Reiches, verbrecherische Antastungen der nationalen
Existenz werden von dem Gerichte abgeurtheilt, welches das
Rechtsbedürfniss der gesammten Nation zu befriedigen
hat. Das höchste richterliche Organ, welches die deutsche Nation
kennt, sitzt über die strafbaren Handlungen zu Gericht, welche
die höchsten Verbrechen sind, die der Strafkodex eines auf seine
nationale Existenz stolzen Volkes aufweist. So ist das Reichs-
gericht die nothwendige Ergänzung, welche die Gliederung
der centralen Organe des deutschen Volkes bedurfte. Der Kaiser,
der Reichstag, das Reichsgericht, der Reichskanzler, sie
verkörpern in centralistischer Weise die Thätigkeit des
Reichs auf den drei Gebieten staatlicher Arbeit, der Gesetz-
gebung, Rechtsprechung, der Exekutive.
(Schluss folgt im nächsten Heft.)