Full text: Archiv für öffentliches Recht.Zweiter Band. (2)

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die Stellung und die Fassung des Art. 32 die Annahme, dass die durch 
denselben ausgedrückte Satzung in erster Linie die Regierungen des 
Reiches und der Einzelstaaten in der Richtung betrifft, dass sie verhindert 
sein sollen, den Reichstagsabgeordneten den Bezug von Diäten oder sonstigen 
Entschädigungen zu bewilligen. Die Reichstagsabgeordneten sollen keine 
Diäten oder Entschädigungen beziehen, d.h. die Regierungen sollen den- 
selben den Bezug nicht gewähren. In diesem Sinne und mit dieser Tendenz 
ist der Art. 32 als Verbotsgesetz zu charakterisiren.“ 
Mit gleicher Bestimmtheit haben die die Urtheile erster Instanz ab- 
ändernden und die beklagten Reichstagsabgeordneten zur Herauszahlung 
der empfangenen Diäten verurtheilenden zweitinstanzlichen Erkenntnisse auf 
Wortlaut, Inhalt und Zweck des Art. 32 zur Begründung ihrer ent- 
gegengesetzten Ansicht sich berufen. 
Das Erkenntniss des Oberlandesgerichts in Naumburg a. d. Saale, 
Civilsenat III, vom 11. März 1886 gegen den Reichstagsabgeordneten Heınz 
äussert sich dahin: „Schon der Wortlaut des Art. 32 führt zu der Annahme, 
dass den Abgeordneten der Bezug jeglicher Geldunterstützung aus öffent- 
lichen wie aus Privatmitteln zur Ermöglichung oder Erleichterung ihrer 
Anwesenheit im Reichstag verboten sein sollte. Denn das Wort ‚Entschä- 
digung‘ hat eine ganz allgemeine Bedeutung und bezeichnet gleichmässig 
Bezug aus Staats- wie aus Privatmitteln. Es ist eine petitio principii, wenn 
der Vorderrichter die Worte ‚Besoldung oder Entschädigung‘ als 
fortlaufende und einmalige oder gelegentliche Zahlung aus Staatsmitteln 
in Gegensatz zu einander bringt, während nach dem einfachen Wortver- 
stande ohne die vorgefasste Meinung, Privatentschädigung sei ausgeschlossen, 
das Wort ‚Entschädigung‘ Geldunterstützungen jeglicher Art umfasst und 
die Stellung der Worte ‚Besoldung oder Entschädigung‘ neben einander 
durch ihren Zusammenhang lehrt, dass jedwede Geldunterstützung dem Ver- 
bote unterliegen soll. Ferner ist es gegen den Sprachgebrauch, wenn der 
Vorderrichter das Wort ‚beziehen‘ nur für Annahme von Entschädigungen 
aus Staatsmitteln verwenden will; das Wort ist vielmehr gleichbedeutend 
für ‚annehmen‘.* 
Das Urtheil des zweiten Civilsenats des obengenannten Oberlandes- 
gerichts, welches gegen den Reichstagsabgeordneten HAsEncLEvVER ergangen 
ist, enthält ähnliche Ausführungen. Es betont insbesondere mit Entschieden- 
heit, dass im Gesetze nichts darüber gesagt sei, woher die Reichstagsmit- 
glieder die Besoldung oder Entschädigung nicht beziehen dürfen, ob nicht 
‘aus der Bundeskasse oder aus der Kasse der Einzelstaaten oder aus Mitteln 
der Privaten. Eine Beschränkung auf die eine oder andere Bezugsquelle 
habe im Gesetze keinen Ausdruck gefunden. Sie liege auch nicht in dem 
Worte „beziehen“; denn man „beziehe“ gerade so gut eine Besoldung oder 
Entschädigung aus öffentlichen Kassen, wie man z. B. bei Verwaltern, 
Inspektoren, Aerzten von dem Bezuge einer Besoldung, Vergütung oder Ent- 
schädigung aus dem Vermögen eines Privaten spricht. Sei aber der Wort- 
laut eines Gesetzes klar, so sei es unzulässig, in eine Gesetzesbestimmung 
Beschränkungen hineinzutragen, welche die an sich deutlich gefasste Be- 
stimmung nicht ausspreche. Hierzu würde man nur dann berechtigt sein,
	        
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