Full text: Archiv für öffentliches Recht.Zweiter Band. (2)

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oder ein christliches Volk geschehen war°). Dass gegenwärtig 
nicht nur christliche Staatswesen und andererseits nicht alle christ- 
lichen Staatswesen Subjekte des Völkerrechts sind, ist bereits 
bemerkt worden. Als herrenlos im völkerrechtlichen Sinne gilt 
daher jedes Gebiet, in dem die Staatsgewalt eines. völkerrechtlich 
anerkannten Rechtssubjekts nicht besteht ®). 
| Der Besitzergreifung geht jetzt gewöhnlich vorher ein Ver- 
trag mit den eingeborenen Machthabern, durch welchen diese sich 
der Gewalt des erwerbenden Staates unterwerfen. Erforderlich 
sind jedoch derartige Verträge in keiner Hinsicht, wie solche 
z. B. auch bei der deutschen Besitzergreifung des nordöstlichen 
Neu-Guinea und des Bismarckarchipels nicht abgeschlossen sind. 
Der Vertrag gibt auch, wenn die förmliche Besitzergreifung unter- 
bleibt, dem vertragschliessenden Staate kein Recht, andere Staaten 
von der Besitzergreifung auszuschliessen. Es kann höchstens als 
eine unter den civilisirten Staaten übliche Kourtoisie angesehen 
werden, dass, wenn ein Staat mit den Mächthäbern eines bisher 
völkerrechtlich herrenlosen Gebietes einen Unterwerfungsvertrag 
geschlossen hat, andere Mächte die Besitzergreifung eines solchen 
Gebietes unterlassen. Die Erwerbung selbst vollzieht sich mit 
der Besitzergreifung, die als eine symbolische Handlung, gewöhn- 
lich durch Aufhissen der Flagge, Aufrichten von Grenzpfählen 
und dergleichen vor sich geht. 
Nach den Beschlüssen der sog. Kongokonferenz ?) soll, so- 
fern es sich um afrıkanısche Küsten handelt, die Thatsache der 
Besitzergreifung von einer Anzeige an die anderen Kongressmächte 
begleitet werden, um dieselben in den Stand zu setzen, entweder 
die Besitzergreifung thatsächlich anzuerkennen oder gegebenen 
Falls ihre Einwendungen geltend zu machen. Der Erwerb der 
Staatshoheit ist jedoch durch diese Anzeige nicht bedingt. Die 
9) CrEasy, a. a. OÖ. S. 66. 
*) Die ältere Auffassung, die praktisch längst nicht mehr im Gebrauch 
ist, wird u. a. noch vertreten bei Herrter, Das europäische Völkerrecht, 
7. Aufl., herausgegeben von H. Gerrcken. Berlin 1882, S. 155. Herrter will 
die Besitzergreifung nur zulassen bei unbewohnten, nicht schon voll- 
ständig von anderen in Besitz genommenen Gegenden und verlangt in an- 
deren Fällen Unterwerfung oder Krieg. 
®) Vgl. Generalakte der Berliner Konferenz, Art. 34 u. 35, R.G.Bl. 
1885, S. 215 ft.
	        
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