Das Referendum im schweizerischen Staatsrecht.
Von
Professor Dr. HıLTy in Bern.
T.
Mi dem etwas schwer verständlichen Worte „Referendum“,
das sich aber in Ermangelung eines andern, kurzen und in vier
Sprachen gleichmässig verständlichen Ausdruckes eingebürgert hat,
bezeichnet man in der Schweiz, namentlich seit Beginn der Re-
visionsversuche, welche zu der Herstellung der jetzigen Bundes-
verfassung von 1874 geführt haben, die constitutionelle Einrich-
tung, wornach es vorgeschrieben oder wenigstens unter gewissen
Umständen zulässig ist, Beschlüsse ‚\er repräsentativen Körper-
schaften (Grossen Räthe der Cantone oder Bundesversammlung
der Eidgenossenschaft), noch der Gesammtheit der stimmfähigen
Bürger, oder, wie man sich gewöhnlich ausdrückt, dem Volke zur
Annahme oder zur Verwerfung vorzulegen.
Es ist also grundsätzlich nichts Anderes als das directe
Gresetzgebungsrecht des Volkes, das jedoch nicht in grösseren lands-
gemeindeartigen Versammlungen, sondern in kleineren, den Wahl-
kreisen angepassten Volksgruppen ausgeübt zu werden pflegt, und
wobei, in der Regel wenigstens, keine mündliche Discussion der Ab-
stimmung vorangeht und auch, bisher wenigstens, keineandere V otation
als die einfache Annahme oder Verwerfung der Vorlage erlaubt ist.
Das Wort Referendum, welches sich dermalen an Stelle des
ursprünglich noch in dem diessfälligen eidgenössischen Gesetze
gebrauchten, besseren, Ausdruckes „Volksabstimmung“ vollständig
eingebürgert hat ‚ stammt aus dem alten eidgenössischen Staats-
recht und bezeichnete damals etwas ganz anderes.
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