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bestellt wurden. Dieser Congress hatte dann die eingelangten
Antworten auf die Recapitulationspunkte zu prüfen und das Mehr
zu ermitteln, welches, in der Regel erst gelegentlich, bei An-
lass des nächsten Abschiedes allen Gerichten und Gemeinden
mitgetheilt wurde. Es konnten somit keine allgemein verbind-
lichen Bundesbeschlüsse anders als auf Ratification der Gemeinden
hin erlassen werden, wobei allerdings die Frage offen blieb,
in wie weit Administrationssachen auch hiezu zu zählen seien.
Die Graubündner erlangten durch diese beständige Be-
schäftigung mit wichtigen auswärtigen Angelegenheiten eine er-
hebliche Kenntniss von den allgemeinen politischen Verhältnissen
Europa’s, sowie eine gewisse diplomatische Schulung, die noch
heute sichtbar ist. Noch bis in die neueste Zeit hinein wurden
die Sitzungen des Graubündnerischen Grossen Rathes gewöhnlich
mit einer Uebersicht über die Lage der gesammten europäischen
Politik eröffnet.
Eine grosse Anzahl von staatsrechtlich interessanten Ver-
hältnissen dieses Landes, die dessen Gesetzgebung noch weiter
complicirten, müssen wir, als nicht direct zu unserem Gegenstand
gehörig, hiebei übergehen. Es gab in demselben, neben den Hoch-
gerichten und Gemeinden, noch bis in dieses Jahrhundert hinein
eigentliche Freiherrschaften, z. B. Haldenstein bei Chur, die zeit-
weise sogar das Münzrecht ausübten, oder Rhäzüns, in welcher
Oesterreich den Gemeindeammann bestellte (das zeitweise auch
dem Hause Zollern, und selbst Frankreich angehörte !!) oder
Tarasp, welches ebenfalls bis 1815 eine österreichische Herrschaft
in Graubünden war. Ebenso beanspruchte der Bischof von Chur
landesherrliche Rechte über gewisse Gremeinden und endlich waren
einzelne Theile Graubündens , wie die noch heute so geheissene
„Herrschaft“ Maienfeld, gleichzeitig Unterthanenland der drei
Bünde und Glied des Zehngerichtenbundes, so dass sie, wenn die
constitutionelle Reihe an sie kam, sich selbst einen Landvogt zu
11) Hierüber vgl. ebenfalls das „politische Jahrbuch der Eidgenossen-
schaft“ von 1886, welches die Abtretung von Rhäzüns an Frankreich im Wiener
Frieden von 1809 und die Rückerwerbung dieser Enclave durch Oesterreich,
die historisch noch nicht recht aufgeklärt ist, bespricht (pag. 246.).