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Volk selbstthätig und lebenskräftig und den Staat volksthümlich
erhielt, übersahen sie gänzlich, bis dann erst in unserer eigenen
Lebensperiode plötzlich aus dem Baustein, welchen die Bauleute
verwarfen, der Eckstein der Constitution beinahe aller Cantone
und der Eidgenossenschaft selber geworden ist !®).
Allerdings behielten die Graubündnerischen Gemeinden bis
auf die jetzige Verfassung von 1880 eine beinahe souveräne Stellung
(nominell eine vollständig souveräne) bei, welche manchen Fort-
schritt des materiellen Culturlebens schwieriger machte, weil er
eben nicht so einfach von Oben herab befohlen werden konnte,
doch blieb Geist und Herz des Volkes dabei lebendig und das
Interesse am politischen Leben, das anderorts unter den Repräsen-
tativ- Verfassungen auf eine zeitweise Wahlagitation und poli-
tische Parteiorganisation zu solchen Zwecken reducirt war, in
höherem Grade erhalten, und wo es nothwendig war, wusste
man sich eben auch mit angeborener Diplomatie zu helfen. So
erschien es z. B. schon im Jahre 1839 absolut nothwendig eine
scharfe Forstordnung gegen die im Gange befindliche Wald-
verwüstung zu erlassen und da es zweifelhaft war, ob eine solche
Massregel, welche viele Waldstrecken für die Ausbeutung un-
zugänglich machte, gegenüber dem natürlichen Egoismus ihrer
Eigenthümer zu Stande kommen würde, so wurde die Forst-
ordnung von 1839 und ebenso die spätere von 1858 nur auf
dem Wege einer „landespolizeilichen Verordnung“ von dem
Grossen Rathe erlassen und trotz öfterer Reclamation einzelner
mehr theoretisch angelegter Leute nie zur Volksabstimmung ge-
bracht !°). Umgekehrt wurde ein regelmässiges Steuergesetz, das
an die Stelle des althergebrachten „Repräsentanzschnitzes“ treten
sollte (wodurch das jährliche Deficit in der Verwaltungsrechnung
14) Vgl. hierüber des Näheren meine Schrift von 1868 „Theoretiker
und Idealisten der Demokratie“, Bern 1868, damals gegen eine Schrift von
Bundesrath Duss „die schweizerische Demokratie in ihrer Fortentwicklung“
gerichtet, ferner GENGEL „Aphorismen über demokratisches Staatsrecht“.
15) Lediglich ein ganz allgemein lautender Grossrathsbeschluss von 1836
bezüglich Einrichtung einer verbesserten Forstwirthschaft durch Aufstellung
eines cantonalen Forstbeamten und Eintheilung der Wälder in gefährdete und
minder getährdete war ausgeschrieben worden. Dies ist die genaue Walhır-
heit über diese vielfach falsch berichtete Sache.
Archiv für öffentliches Recht II. 2. 13