Full text: Archiv für öffentliches Recht.Zweiter Band. (2)

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Verständnisse der politischen Geschichte der modernen Schweiz 
und besonders der allgemeinen Bewegung beiträgt, welche im 
Laufe der letzten Jahrzehnte in Bezug auf „Erweiterung der 
Volksrechte“ stattgefunden hat, dass die modernen Repräsentativ- 
verfassungen bei uns nichts „Volksthümliches“, keine Concession 
an den erwachenden Volksgeist gewesen sind, wie in den Mon- 
archien Europa’s, sondern im Gegentheil bei ihrer ersten Ein- 
führung im Jahre 1798 etwas Frremdartiges, vom Auslande her 
Importirtes, späterhin, nach 1815 und 1830, ein blosses Surro- 
gat für die alte Aristokratie, eine Aurdehnung des Regiments 
auf eine etwas grössere bevorzugte Olasse von Bürgern, die mit- 
unter beinahe ein neues Herrenthum wurde. Daher sind diese par- 
lamentarischen Körper in der Schweiz niemals eigentlich populär 
gewesen, wie etwa das Parlament in England, die süddeutschen 
Kammer u. s. w. Selbst die heutigen Repräsentantenversamm- 
lungen in der Eidgenossenschaft und den Cantonen werden nicht 
sowohl als die eigentlichen Vertreter der Volksinteressen an- 
gesehen, sondern als ein Stück Regierungsmaschinerie, das zwar 
nothwendig ist, gegen das man sich aber sichern muss und gegen 
welches Opposition zu organisiren jederzeit nicht schwer fällt. 
Diese Anschauung hat grossen Antheil an der Einführung 
des modernen Referendums sowohl in den Cantonen als in der 
Eidgenossenschaft gehabt, in welcher letzteren, namentlich in der 
Mitte der Sechziger Jahre, die Bundesversammlung keineswegs 
sehr beliebt war °®). Umgekehrt hat noch heute das Refe- 
rendum in den gebildeten Classen, welche von der Ansicht aus- 
gehen, zur Herrschaft naturgemäss berufen zu sein, seine zahl- 
reichsten Gegner. Eine Art von bevorzugter Olasse macht sich 
auch in den freiesten staatlichen Zuständen immer geltend. Am 
bezeichnendsten dafür sind die ältesten schweizerischen Demo- 
. 8) Die ‚Gruppe ständiger Mitglieder derselben aus den grösseren Can- 
tonen, die viele Jahre lang ihre Sitze behielten, wurden damals allgemein 
mit dem odiösen Titel „Bundesbarone“ bezeichnet, ähnlich wie man in der 
amerikanischen Republik vor dem Secessionskriege von „Sclavenbaronen“ 
sprach, und der allgemeine Wunsch diese Herren etwas niederzudrücken, 
ist bei dem sonst auffallend plötzlichen Erfolg des Referendums, das noch 
kurze Zeit zuvor als eine rhätische Curiosität gegolten hatte, nicht ganz zu 
übersehen.
	        
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