Full text: Archiv für öffentliches Recht.Zweiter Band. (2)

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Die Bestimmungen der ersten (verworfenen) Verfassung von 
1872 waren folgende: 
Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse nicht dringlicher Natur 
sollten auf Begehren von 50 000 stimmfähigen Schweizerbürgern 
oder 5 Cantonen dem Volke (nicht auch den Cantonen, wie vielfach 
verlangt worden war) zur Abstimmung vorgelegt werden können. 
Ueberdiess sollten ebenfalls 50 000 Stimmfähige und 5 Can- 
tone eine Art von Initiative in der Weise besitzen, dass sie die 
Erlassung, oder die Aufhebung von Bundesgesetzen oder Bundes- 
beschlüssen beantragen können (insoweit nicht vertragsrechtliche 
Verpflichtungen entgegenstehen). Wenn nicht die beiden gesetz- 
gebenden Räthe, an die ein solches Begehren zunächst gerichtet 
wird, demselben zustimmen, so entscheidet die Abstimmung des 
gesammten Volkes, ob sie einen solchen Gesetzesvorschlag auf- 
stellen sollen oder nicht, welcher im ersteren Falle dann wieder 
zur Volksabstimmung gelangt°?). 
Nach der Verwerfung dieser Verfassung wurde bei den 
fortgesetzten Revisionsverhandlungen der Gegenstand, ohne sehr 
erhebliche neue Argumente für oder wider, neuerdings behandelt, 
die Initiative weggelassen, die Zahl der stimmfähigen Bürger, 
welche das Referendum begehren können, auf 30000 herab- 
gesetzt, die der Cantone dagegen auf 8 erhöht, und in dieser 
blos 54 gegen 52 und der Ständerath mit 20 gegen 19 Stimmen den Antrag 
ablehnte bei den Referendumsabstimmungen auch die Mehrheit der Cantone 
zu verlangen. Diess wird jetzt (nach der bestehenden Verfassung) nur bei den 
Abstimmungen über Verfassungsrevisionen verlangt und zwar dort mit 
Recht, indem darin der einzige reelle Schutz der Cantone für ihre gesammte 
bundesstaatliche Stellung, ja sogar für ihre Fortexistenz als selbstständige 
Gemeinwesen liegt. Wenn sie dagegen bei der Erlassung von Bundesgesetzen 
und Bundesbeschlüssen einerseits schon durch ihr Organ, den Ständerath, 
mitzuwirken berechtigt gewesen wären und dann noch überdies mit ihrer 
Mehrheit vielleicht eine sehr grosse Volksmehrheit hätten unwirksam machen 
können, so würde damit beinahe der alte Staatenbund wiedergekehrt sein. 
Immerhin hatte das Fehlen dieses Ständevotums einen bedeutenden Antheil 
an dem Schicksal des ersten Verfassungsentwurfes, welcher von 13 Cantonen 
gegen 9 und einer Mehrheit von 261072 gegen 255609 Volksstimmen am 
12, Mai 1872 verworfen wurde. 
5%) Diese Initiative von 1872 findet sich deutlich in einzelnen seither 
entstandenen Cantonsverfassungen wieder. (Vgl. die zweite Abtheilung.)
	        
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