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französisch-rechtliche System des Kassationsrekurses ziemlich genau
nachgeahmt worden, so weicht doch das niederländische Recht
insofern von ihm ab, als der Hohe Rath, sofern das angegriffene
Urtheil auf einer Gesetzverletzung beruht, nicht nur die Ent-
scheidung des judex a quo vernichtet sondern auch in der Sache
selbst erkennt. Der Hohe Rath ist hiernach Kassationshof, er
übt die Oberaufsichtsgewalt über sämmtliche Gerichtshöfe des
Landes aus, er wacht darüber, dass die Gesetze durch sie befolgt
und richtig und einheitlich ausgelegt werden. Die Oberaufsichts-
gewalt ist für seinen Charakter maassgebend, sie wird an erster
Stelle betont. Neben diesen Funktionen hat der Hohe Rath noch
einige Kompetenzen, welche zumeist einem Staatsgerichtshofe
zustehen. Er entscheidet nämlich in Strafsachen, wenn die Mit-
glieder des Staatsrathes, die Königlichen Provinzialkommissäre
und die obersten Kolonialbeamten verfolgt werden. Ausserdem
dient er, analog den Einrichtungen in den meisten monarchischen
Staaten, als Gerichtshof in Zivilprocesssachen, welche gegen den
König oder ein Mitglied des Königlichen Hauses gerichtet sind.
Eine Kompetenz zur Entscheidung über streitige Fragen des
Staatsrechts besitzt er nicht, ausgenommen einen Fall, in
welchem er über den Rekurs eines Einwohners eines Wahlkreises
gegen die Entscheidung des Gerichtes erkennt, die sich auf eine
Beschwerde über die zum Zwecke der Abgeordnetenwahlen auf-
gestellte Wählerliste bezieht. Wenn nämlich ein Einwohner eine
Berichtigung der Wählerlisten oder ihre Ergänzung für nothwendig
hält, so hat er seinen hierauf bezüglichen Antrag bei dem Ge-
meinderath zu stellen. Ist er mit dessen Bescheid nicht zufrieden
so hat er das ordentliche Gericht des Ortes um Entscheidung
anzugehen, gegen welche ihm die Einlegung der Revision an
den Hohen Rath zusteht. Die Frage, welche Personen das aktive
Wahlrecht besitzen und welche von ihm ausgeschlossen sind, ist
hiernach unter den Schutz des obersten Gerichtshofs gestellt und
diess ist um so mehr zu beachten als die Verwaltungsjustiz im
Uebrigen in den Niederlanden nur sehr ungenügend organisirt
ist und bis jetzt sogar ein Gesetz fehlt, durch welches das Ver-
fahren über die Entscheidung von Kompetenzkonflikten zwischen
der Justiz und der Verwaltung geregelt wird. Freilich muss