Full text: Archiv für öffentliches Recht.Zweiter Band. (2)

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des Rahmens dieser Erörterungen und gehört mehr einer 
Betrachtung an, welche die Parlamentsgewalt zum Gegen- 
stand hat. 
Werfen wir nunmehr rückwärts einen Blick auf die obersten 
(erichtshöfe der verschiedenen Staaten, die wir betrachtet haben, 
so tritt uns in der Darstellung eine Dichotomie entgegen. Einige 
Staaten haben in ihrem obersten Gerichtshof nur einen Wahrer 
der Rechtseinheit und ein Aufsichtsorgan des Staates sehen 
wollen und desshalb seine richterliche Thätigkeit auf das Gebiet 
der Straf- und Zivilrechtspflege beschränkt, indem sie sich dabei 
an das Vorbild Frankreichs anschlossen, andere wollten ihn auch 
zu dem Schützer und Wahrer der individuellen Rechte 
der Bürger gegenüber der Gesammtheit machen und haben ihm 
desshalb eine mehr oder minder weitreichende Kompetenz zur 
Entscheidung streitiger auf dem Gebiete des Staatsrechts lie- 
gender Fragen eingeräumt. Eine Sonderstellung nimmt Deutsch- 
land ein; es hat seinem Reichsgerichte weder die Befugnisse 
der Gerichtshöfe der Staaten der zweiten Gruppe, noch auch 
diejenigen eines Kassationshofes zuweisen können. Die Bedeutung 
des deutschen Reichsgerichts liegt auf dem Gebiete der Förde- 
rung der nationalen Rechtseinheit. Es verkörpert in sich 
die kräftig erstarkte deutsche Rechtseinheit, es verkörpert das 
ziel- und zweckbewusste Streben des deutschen Volkes, neben die 
politische Einheit auch die rechtliche zu setzen. Vielleicht ist 
die nationale Bedeutung keines der im Vorhergehenden dar- 
gestellten Gerichtshöfe eine so bedeutende, wie die des Reichs- 
gerichts. Noch ist die rechtliche Entwicklungsstufe nicht er- 
rungen worden, auf welcher das Reichsgericht nicht nur ein 
Gerichtshof des deutschen Reiches, sondern auch des deutschen 
Rechtes ist, aber die Zeit ist nicht mehr in unabsehbarer Weite 
von uns entfernt, in welcher mit der Schaffung des deutschen 
Zivilgesetzbuches auch dieses Ziel erreicht sein wird. Es ergiebt 
sich aus der vorstehenden Darstellung deutlich, wie unbegründet 
es ist, wenn man das Reichsgericht als Kassationshof bezeichnet. 
So wenig das Rechtsmittel der Revision, sowohl in Straf- wie in 
Zivilsachen, mit dem Kassationsrekurse auf eine Linie zu 
stellen ist, ebenso wenig darf das Reichsgericht mit einem 
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