Full text: Archiv für öffentliches Recht.Zweiter Band. (2)

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die der Kongress ausüben darf, aber nicht ausübt, das so anzu- 
sehen sei, dass der Kongress sie ihnen zeitweilig delegirt 
hat. Was ist nun Verfassungsrecht: das „Müssen“ SCHLIEF’S 
oder was Kongress und Gerichte in Uebereinstimmung mit den 
Ansichten und Absichten des Philadelphia Konvents darüber 
erklären ? 
Stehen die beiden autoritativen Quellen, Gesetze und richter- 
liche Entscheidungen, in Widersprnch mit einander, so hat der 
Darsteller des geltenden Verfassungsrechts zu untersuchen, 
welche von den beiden Autoritäten in dem konkreten Falle nach 
den von den gesetzgebenden Faktoren und den Gerichten adoptirten 
allgemeinen Regeln als die maassgebende anzusehen ist. Kann 
darüber auch nur der geringste Zweifel bestehen, so ist er ver- 
pflichtet, den Konflikt zu konstatiren, wobei es ihm natürlich 
unbenommen ist, zu sagen, für welche Seite er sich entscheide, 
und warum er es thue. Die Antwort auf die Frage, was in 
einem solchen Falle das geltende Verfassungsrecht ist, kann 
aber nur ein Fragezeichen sein. 
Sehr viel häufiger sind die Fälle, in denen sich allein aus dem 
Wortlaut der Verfassung resp. der Gesetze nicht mit hinlänglicher 
Klarheit und Gewissheit ermitteln lässt, was das geltende Ver- 
fassungsrecht ist, resp. nach dem Willen des das Verfassungsrecht 
schaffenden Gesetzgebers sein soll, und in denen keine Antwort 
auf die Frage in richterlichen Entscheidungen gefunden werden 
kann. In solcheu Fällen muss man den Willen des Gesetzgebers 
auf andere Weise zu ermitteln suchen und dabei muss man sich 
an dieselben Quellen halten und dieselbe Methode anwenden, wie 
allerwärts sonst geschieht, wo man sich vor dieselbe Aufgabe 
gestellt findet — was ja in allen modernen Kulturstaaten ein 
keineswegs seltenes Vorkommniss ist. Die vornehmste Quelle 
sind in der Regel die einschlägigen Verhandlungen im Philadelphia 
Konvent und in den Ratifikationskonventionen, resp. in dem 
Kongress. Die Verfassung oder ein Gesetz in direktem Wider- 
spruch zu dem zu interpretiren, was sich aus diesen Quellen er- 
gibt, ist unzulässig, wenn nicht eine zwingende Nothwendigkeit 
dafür vorliegt, und handelt es sich um eine Verfassungsbestimmung 
und die ganze Gesetzgebung, die ganze Rechtsprechung und die
	        
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