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Wird das nicht von SCHLIEF selbst anerkannt, indem er meinen
Nachweis dafür, dass die Verfassung den Staaten „trotz des heftigsten
Widerstandes durch die harte Nothwendigkeit abgerungen worden
ist“, „treffend“ nennt? Eben darum aber erscheint es mir unmöglich
„das geltende Verfassungsrecht“ „aus Einem Grundgedanken
heraus“ darzustellen. Die Urheber der Verfassung wurden nicht
von Einem Grundgedanken in dem Sinne geleitet, dass sie ver-
sucht hätten, ihr Werk den Forderungen eines folgerichtigen
Systems gerecht werden zu lassen. Sie wollten eine lebensfähige
Verfassung schaffen; da die thatsächlichen Verhältnisse und die
Anschauungen in zahlreichen und kardinalen Fragen in scharfen
Konflikten lagen, konnten sie das aber nur, indem sie sich auf
Schritt und Tritt zu Kompromissen verstanden, wie es das An-
schreiben des Konvents an den Kongress ausdrücklich konstatirte.
Wenn ich trotzdem sage: „Da der in der Verfassung zum Aus-
druck gelangte Wille des Verfassungsgebers un bedingt maassgebend
ist, so muss auch angenommen werden, dass dieser Wille sich
selbst nie untreu... geworden ist,* so setze ich mich keineswegs,
wie SCHLIEF meint, mit mir selbst in Widerspruch. Sich nicht
widersprechen und „aus Einem Grundgedanken heraus“ deckt
sich doch nicht. Dass die Verfassung keine Widersprüche ent-
halten kann, ist ein Grundsatz des geltenden Verfassungsrechts
und ich bekenne, dass derselbe allerdings auch mir eine unab-
weisliche Nothwendigkeit der Rechtsprechung zu sein scheint.
Auf welche ungeheure Schwierigkeiten die praktische Anwendung
dieses Grundsatzes in vielen Fällen stösst und namentlich während
des Bestehens der Sklaverei gestossen ist, habe ich aber wieder-
holt nachgewiesen. Unüberbrückbar, wie SCHLIEF zu meinen
scheint, ist die Kluft keineswegs, die mich von seiner Auffassung
trennt, wenn er schreibt: „Das Wesen zusammengesetzter Staaten
leidet naturgemäss an einem innern Widerspruch,“ und: „dieser
Widerspruch oder doch die Möglichkeit desselben besteht auch
nach der Konstitution von 1789 mit allen ihren Amendements“.
Muss man aber nicht von diesem inneren Widerspruch aus, der
in den Bestimmungen der Verfassung konkreten Ausdruck gefunden
haben muss, wenn er in dem Wesen des zusammengesetzten
Staates gegeben ist, nach zwei entgegengesetzten Richtungen hin