Full text: Archiv für öffentliches Recht.Zweiter Band. (2)

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bereits rechtskräftig abgegebenen Stimmen durch die Nichtabgabe der ferneren 
oder letzten mit rückwirkender Kraft nichtig würden. Die Wirkung aller 
Vorstimmen wäre bedingt, sei es suspensiv, sei es resolutiv bedingt durch die 
Abgabe bezw. Nichtabgabe der Schlussstimme. Dann und dadurch erst ist die 
Gesammtstimme voll ausgeübt und sind infolge dessen auch die Einzelstimmen 
rechtsbeständig. Ein solches Abhängigkeitsverhältniss zwischen den Einzel- 
stimmen, so sehr es juristisch konstruirbar ist, ist aber unvereinbar mit dem 
positiven Recht. Nach diesem Princip der absoluten Untheilbarkeit muss näm- 
lich stets zwischen der Zahl der Gesammtstimmen und der Einzelstimmen ver- 
hältnissmässige Kongruenz bestehen, d. h. vorliegend sie müssen sich verhalten 
wie 1:4. Dadurch aber, dass die Rheinische St.-O. im 826 den: Fall regelt, 
„dass sich bei der ersten Abstimmung nicht für so viele Personen, als zu 
wählen sind, die absolute Stimmenmehrheit ergeben hat“ setzt sie die Mög- 
lichkeit einer Inkongruenz zwischen der Zahl der Gesammtstimmen und der 
Einzelstimmen, widerspricht somit dem Princip der absoluten Untheilbarkeit. 
2) Es bietet sich sonach nur die zweite Möglichkeit, dass die Untheil- 
barkeit der Gesammtstimme eine relative ist, deren Wirkungen wir folgender- 
maassen konstruiren. Unsere Konstruktion geht davon aus, dass die Gesammt- 
stimme als das Wahlrecht an sich, als abstrakte Einheit von den konkreten 
Einzelstimmen zu trennen ist, welche ihr zwar erst realen Inhalt verleihen, 
sie aber nicht erst konstituiren; sie folgen aus ihr, sie bilden sie nicht. 
Demnach ist sie nicht erst mit und durch Abgabe der Schlussstimme aus- 
geübt, sie wird vielmehr schon durch einen, den ersten Stimmakt vollzogen. 
Dementsprechend hat die Abgabe der ersten Einzelstimme eine doppelte 
oder mittelbar dreifache Wirkung: erstens Abgabe einer Einzelstimme, 
zweitens Ausübung des Wahlrechts an sich, so dass der Wähler von ihr 
nicht mehr zurücktreten kann und infolge dessen drittens Begründung einer 
Wahlpflicht für die folgenden Einzelstimmen. Diese Wahlpflicht ist keine 
absolute, sondern eine relative. Sie hat zum Gegenstand nicht die Gesammt- 
stimme als Ganzes, sondern die einzelnen Theile derselben, die Einzelstimmen. 
Ist jene kraft Wahlrechts vollzogen, so müssen diese kraft Wahlpflicht, 
die eine durch die Ausübung des Wahlrechts freiwillig übernommene ist, 
abgegeben werden. Das ist der juristische Gehalt der im $ 24 der Rhein. 
St.-O. aufgestellten Norm: „Der Wähler hat so viele Personen zu bezeichnen, 
als zu wählen sind“. 
Mag auch in ihrer Entstehung diese übernommene Wahlpflicht von 
der absoluten sich unterscheiden, so doch nicht in ihrem Bestande und hin- 
sichtlich der Wirkungen ihrer Verletzung. Würden demnach in letzterer 
Beziehung für die absolute Wahlpflicht Rechtsgrundsätze bestehen, so würden 
dieselben auf die zwar nur im Zusammenhang entstehende, aber inhaltlich 
und gegenständlich gleichartige relative Wahlpflicht zwanglos übertragen 
werden können. Allein u. W. besteht nirgend im deutschen Öffentlichen 
Recht die absolute Wahlpflicht, so dass wir nicht auf induktiver Grundlage 
allgemeine Rechtsgrundsätze rücksichtlich ihrer Verletzung gewinnen können,
	        
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