Full text: Archiv für öffentliches Recht.Zweiter Band. (2)

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Unschwer lässt sich in jener ministeriellen Bestimmung eine Ueber- 
tragung oder doch Anwendung jenes im Kirchenrecht ausgebildeten Gedankens 
auf das Staatsrecht erkennen; sie begreift sowohl den titulus patrimoniü als 
den titulus mensae in sich: beide bilden genügende Voraussetzungen des 
Amtserwerbs.. Während aber der hier geschaffene staatsrechtliche titulus 
patrimonü ein juristisch einfacher ist, zu dessen Konstruktion nur der 
juristische Begriff des Vermögens ohne die ihm im Kirchenrecht gezogenen 
Grenzen erforderlich ist, ist der titulus mensae insoferne zusammengesetzter 
Natur, als er ein ferneres Rechtsverhältniss voraussetzt, das ihn geschaffen 
hat. Welcher Art dieses den titulus mensae begründende Rechtsverhältniss 
ist, das gerade desshalb, weil es die Voraussetzung eines von ihm abhängigen 
Beamtenverhältnisses bildet, jedenfalls öffentlichrechtliche Bedeutung besitzt !®), 
bedarf einer juristischen Untersuchung um so mehr, als in der einzigen hier- 
über bis jetzt ergangenen reichsgerichtlichen Entscheidung (des V. Civilsenats 
vom 30. Mai 1885) sein Rechtscharakter u. E. völlig verkannt ist und da- 
durch die Gefahr entsteht, dass dem neuen titulus mensae von vornherein 
eine falsche und zu enge Grundlage gegeben werde. Der Thatbestand des 
citirten Urtheils war in Kürze folgender: Der Rentier G. hatte seinen Sohn 
Jura studiren lassen, ihn auch während der Studienzeit unterstützt und, 
nachdem der Sohn das Referendariatsexamen bestanden hatte, ihm behufs 
seiner Aufnahme in den Staatsdienst ein Sustentationsattest ausgestellt. 
Später fiel dem Rentier G. die Unterhaltung seines Sohnes lästig und er 
forderte seinen Sohn auf, die höhere juristische Carriere aufzugeben und sich 
seinen Unterhalt im Bureau- oder Kanzleidienst, als Korrespondent oder 
Buchhalter selbst zu verdienen. Der Sohn ging auf diesen väterlichen Vor- 
schlag nicht ein, sondern blieb seinem Berufe treu und klagte gegen seinen 
Vater, welcher nunmehr die fernere Bestreitung des Unterhaltes seines Sohnes 
ablehnte. Die gegen die Verurtheilung eingelegte Revision des Vaters 
wurde vom Reichsgericht zurückgewiesen. Die Gründe führen im Wesent- 
lichen aus, dass der Berufungsrichter keine Rechtsnorm verletzt habe, indem 
er bei der Anwendung der $$ 251, 252 Th. I. Tit. 2 des A. L.-R. deren 
Voraussetzung „dass das Unvermögen — des Klägers — sich selbst zu er- 
nähren, unverschuldet entstanden“ als vorhanden annimmt; hieraus folge, dass 
der Vater seinen Sohn, so lange jene Voraussetzung vorliege, also während 
der Dauer des Vorbereitungsdienstes, anständigen Unterhalt zu verabreichen 
verpflichtet sei. 
Das Reichsgericht gründet demnach seine Entscheidung wesentlich auf 
das familienrechtliche Verhältniss zwischen Vater und Sohn, indem es offen- 
bar das „Sustentationsattest“ für völlig bedeutungs- und wirkungslos hält; 
für jene Fälle, wo ein solches Verhältniss überhaupt nicht vorliegt, bietet 
18) Ebenso, wie das durch die Kautionsbestellung geschaffene Pfand- 
rechtsverhältniss, das trotz seines an sich privatrechtlichen Charakters wegen 
seines bedingenden Zusammenhanges mit dem öffentlichrechtlichen Beamten- 
verhältniss mit Recht in Staatsrechtssystemen — z. B. bei Lapannp — Er- 
örterung findet.
	        
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