— 315 —
staaten ein bestimmender Einfluss auf die Gesammtangelegenheiten zustehen,
weil er Staat sei, müsse er eigene und selbstständige Organe haben und
namentlich sei eine einheitliche Volksvertretung für ihn besonders geeignet.
Zum Schluss geht der Verfasser noch kurz auf die Frage der Entstehung des
Bundesstaates und des Rechtsgrundes, auf welchem seine Entstehung und seine
Verfassung beruht, ein.
Aus dieser Uebersicht ist das Tableau der Staatenverbindungen zu
überblicken, wie es sich nach der Konstruktion des Verfassers gestaltet.
Für die kritische Erörterung können wir aber einen grossen Theil aus-
scheiden. Denn die unorganisirten Vereinigungen von Staaten zu irgend
einem besonderen Zweck, z. B. Kriegsbündnisse, Post- und Eisenbahnvereine,
Vereinigungen zur Beobachtung von Gestirnen oder anderen Welterscheinungen
u. 8. w. bieten der juristischen Betrachtung keine begrifflichen Schwierig-
keiten dar und sind daher auch nicht der Gegenstand rechtsdogmatischer
Kontroversen. Dasselbe gilt im Wesentlichen auch von den „Staaten-Asso-
ciationen mit Kollektivorganen“, obwohl freilich die Realunion zu theoreti-
schen Meinungsverschiedenheiten Anlass gegeben hat. Eine Diskussion end-
lich, ob die durch die gleichmässige Geltung von Völkerrechtsnormen begründete
Gemeinschaft unter mehreren Staaten als eine „Staatenverbindung“ bezeichnet
werden könne oder nicht, wäre ein blosser Streit um Worte, Es bleiben
daher nur diejenigen Staatenverbindungen übrig, welche der Verfasser als
„Staaten-Gemeinwesen“ zusammenfasst, nämlich Staatenbund und Bundes-
staat.
Diese Zusammenfassung beruht darauf, dass der Verfasser auch dem
Staatenbund corporative Natur, Rechtspersönlichkeit, eine Gewalt über die
Gliedstaaten zuschreibt. Wir stossen hier aber sofort auf eine eigenthümliche
Schwierigkeit. Nach den eigenen Worten des Verfassers (S. 88) ist der
Staatenbund ein Gemeinwesen, aber kein Staatswesen; er soll seinem Begriff
und Wesen nach Staaten beherrschen (S. 94), zugleich aber soll die Souve-
ränetät der letzteren die rechtlich anerkannte Regel sein (8. 91). Wir sollen
uns also ein Gemeinwesen vorstellen, das über Staaten herrscht und
doch selbst kein Staat ist; wir sollen die Vorstellung einer rechtlichen
Herrschaft noch über die souveräne Staatsgewalt hinaustreiben bis zu einem
Niveau, auf dem sie wieder aufhört, den staatlichen Charakter zu haben. Die
korporative Vereinigung von Privatpersonen ist selbst wieder eine Person
des Privatrechts, die korporative Vereinigung von Gemeinden ist wieder ein
Kommunalverband, die korporative Vereinigung von Kirchengenossenschaften
ist wieder eine Gesammtkirche — dagegen die korporative Vereinigung von
Staaten soll kein Staat sein, sondern über den Begriff desselben hinausfallen.
Was das für Gemeinwesen sind, deren Herrschaftsgebiet erst oberhalb der
souveränen Staatsgewalt anfängt, und welcher Art die Herrschaft ist, die so
hoch erhaben ist, dass sie nicht mehr das Wesen der Staatsgewalt hat, das
bedarf noch sehr der Aufklärung: die bisherige Wissenschaft wenigstens hat
mit solchen Begriffen noch nicht operirt. Wir sollen uns ferner denken,
dass Staaten souverän und zugleich einer über sie herrschenden Gewalt unter-
worfen sind, d. h. wir sollen ihnen gleichzeitig die Eigenschaft der höchsten,
obersten, keiner übergeordneten Gewalt unterworfenen Rechtsmacht beilegen
und negiren. Im ersten Theil der Schrift (S. 7) führt der Verfasser aus,
dass in der Eigenschaft der Souveränetät zwar die Negation der Unterord-