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ständlich der Abänderung durch die Gesellschaft unterliegen, während das
Korporationstatut selbst ihrer Einwirkung vollständig entzogen ist. Daher
müssen denn auch die Gerichte eine diesem Statut widersprechende Vorschrift
als nicht verbindlich behandeln. — Wesentlich dasselbe ist vom Gesetzgeben-
den Rath für Britisch-Indien zu sagen. Denn obwohl dieser weitgehende
legislative Befugnisse besitzt und ausübt, so beruhen doch diese insgesammt
auf Gesetzen des britischen Parlaments, welche daher die Verfassung von
Indien bilden und — selbstverständlich — nur durch Parlamentsgesetz, nicht
aber den Gesetzgebenden Rath für Indien abgeändert werden können. —
Die Kolonien endlich haben Parlamente und gesetzgebende Gewalten, die
jenen des Mutterlandes ganz analog sind. Ihre Gesetzgebung erstreckt sich
auf alle nur denkbaren Gegenstände, auch die Verfassung der Kolonie selbst
— soweit haben diese Parlamente nicht blos legislative, sondern auch con-
stituirende Gewalten — gleichwohl sind dieselben untergeordnet, insofern die
von ihnen erlassenen Gesetze nicht in Widerspruch zu jenen Rechtsvor-
schriften des Britischen Parlaments stehen dürfen, welche für die Kolonie
Geltung haben.
Weit befremdender, als alle bisherigen Beispiele ist die Thatsache,
dass auch die gesetzgebenden Versammlungen unabhängiger Staaten vielfach
nicht souverän sind. So haben die verschiedenen französischen Verfassungen,
welche wohl als Typus der continentalen überhaupt betrachtet werden dürfen,
alle zwischen fundamentalen und gewöhnlichen Gesetzen geschieden, in dem
Sinne, dass die ersteren nicht durch die gewöhnlichen Parlamente in der
regelmässigen Weise abgeändert werden können. Im entschiedenen Gegen-
satz hierzu kann in England jedes Gesetz in derselben Leichtigkeit von dem-
selben Körper abgeändert werden und somit hat der Ausdruck „constitu-
tional law“ nur die vage Bedeutung eines auf die Grundeinrichtungen sich
beziehenden Gesetzes. Es unterscheiden sich somit die continentalen Ver-
fassungen sehr bestimmt durch eine gewisse Starrheit „rigidity“ von der
Dehnbarkeit und Anpassungsfähigkeit „flexibility“ der englischen Institutionen.
Die den ersteren eigenthümliche Unterscheidung von Vertassungs- und gewöhn-
lichen Gesetzen verlangt natürlich Garantieen gegen nicht verfassungsmässige
Gesetzgebung. Diese werden insbesondere darin bestehen, dass die Gerichte
über Verfassungsmässigkeit erlassener Gesetze zu entscheiden haben, ein
Weg der in der That in den Vereinigten Staaten eingeschlagen worden ist;
es ist aber auch denkbar, dass man sich lediglich auf die Kraft der öffentlichen
Meinung und die Wirkung der verschiedenen politischen Gewalten gegenein-
ander verlässt; hier sind dann die Beschränkungen der regelmässigen Gesetz-
gebung, eigentlich keine Rechtsvorschriften, sondern lediglich constitutionelle
Maximen.
Die nächste (IV.) Vorlesung setzt das Wesen der Souveränität des
Parlaments durch die Vergleichung mit der Natur des Bundesstaates in
noch helleres Licht. Vorbedingung eines föderalen Gemeinwesens ist
immer, dass eine Anzahl von Ländern durch ihre Lage, ihre gemein-
same Entwickelung etc., in einer gewissen Verbindung mit einander stehen.
Zudem muss innerhalb derselben ein eigenthümliches Verlangen nach Einheit
und zugleich ein Widerstreben gegen dieselbe, d. h. ein Verlangen nach
staatlicher Selbständigkeit bestehen. Das aber erfordert eine Verfas-
sung, welche beiden Forderungen durch entsprechende Vertheilung der