Full text: Archiv für öffentliches Recht.Zweiter Band. (2)

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scheidungen einzelner Fälle und zum Theil auch statutarischer Bestimmungen, 
während die Grundsätze der Verfassung auf dem Continent in besonderen 
Verfassungsgesetzen niedergelegt sind und nur kraft derselben bestehen. Damit 
hängt die Thatsache zusammen, dass in England die Verfassungsregeln erzwing- 
bar und ohne gänzliche Umgestaltung des Landesrechtes nicht zu beseitigen 
sind, während auf dem Continent eine Suspension der Verfassung ohne 
besondere Schwierigkeiten möglich ist. (Vorlesung V.) 
Zweck der beiden sich anschliessenden Vorlesungen (VI. u. VII.) ist, 
zu zeigen, dass die grundlegenden Institutionen der englischen Verfassung 
überall das Grundprincip von der Herrschaft des Rechts zur Ausprägung 
bringen. 
1. Das Recht auf persönliche Freiheit ist im Grunde genommen nichts 
als das private Recht des Einzelnen von einem Anderen nicht angegriffen 
oder seiner Freiheit beraubt zu werden, widrigenfalls der letztere civil- und 
criminalrechtlich belangt werden kann. Aber gerade so, wie gegenüber jedem 
Mitbürger, ist dieses Recht auch gegenüber der Regierung und ihren Dienern 
anerkannt und somit bildet dieser Grundsatz des gewöhnlichen Landesrechtes 
zugleich einen Theil des Verfassungsrechts. Gegen jede willkürliche, d. h. nicht 
gesetzmässige Verhaftung und Einsperrung ist durch die Acts of Habeas 
Corpus, die ihrem Wesen nach Prozessgesetze sind, ausreichendster Schutz 
gewährt. 
2. Ein Recht der freien Meinungsäusserung und insonderheit Pressfreiheit 
existirt in England nicht. Man darf nur sagen, schreiben, drucken, was nicht 
eine Rechtsverletzung in sich schliesst. Wird daher durch die Presse eine 
Beleidigung gegen eine Person, ein aufrührerischer Angriff auf die zu Recht 
bestehende Regierung, oder eine Schmähung gegen die anerkannte Religion 
verübt, so werden alle, welche an der Verbreitung dieser Aeusserungen 
Theil genommen haben, straffällig.. Eine besondere Begünstigung der Presse 
hat bis auf die neueste Zeit nicht existir. Wenn gleichwohl England all- 
gemein als Land der Pressfreiheit betrachtet wird, so erklärt sich das daraus, 
dass die Presse nur der Herrschaft des gemeinen Rechtes unterworfen ist. 
Censur und Specialtribunale für durch die Presse begangene Vergehen sind 
dem modernen England fremd. 
3. Auch das Versammlungsrecht (right of public meeting) ist eigentlich 
von der englischen Verfassung nicht anerkannt. Anerkannt ist nur, dass 
Jeder das Recht hat zu gehen, wohin er will, und eben desshalb auch zu- 
gleich mit Anderen. Allerdings kann eine Versammlung ungesetzlich sein, 
z. B. wegen ihres Zweckes (Conspiration etc.), allein die blosse Thatsache, 
dass eine Versammlung voraussichtlich Widerspruch hervorrufen und desshalb 
zu Störungen führen werde, oder dass deren Abhaltung dem öffentlichen 
Interesse entschieden zuwiderläuft, ist für die Behörden kein Grund dieselbe 
zu verbieten. 
4. Ein eigentliches Stand- und Belagerungsrecht „Martial law“ im Sinne 
einer Suspendirung des gewöhnlichen Rechtes und der Thätigkeit der Civil- 
behörden, sowie ihrer Ersetzung durch Militärbehörden ist der englischen 
Verfassung ganz unbekannt und darin liegt ein klares Zeichen für die Supre- 
matie des Landesrechtes. Dagegen wird der Ausdruck „Martial law“ auch 
in Bezug auf das anerkannte Recht „common law right* der Regierung 
und ihrer Diener gebraucht, im Falle von Invasion und innerem Aufruhr
	        
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