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lernen können. Der Verfasser beherrscht seinen Stoff vollständig und bringt
denselben in durchsichtiger klarer Anordnung und vollendeter eleganter
Form zur vollen Anschauung des Lesers, der von der Darstellung geradezu
fortgerissen wird und nicht willens ist, das Buch bei Seite zu legen, bevor
er ans Ende gekommen ist: gewiss ein sprechender Beweis gegen das noch
immer wieder betonte Vorurtheil, dass wissenschaftliche Arbeit und vollendete
Darstellung eigentlich nicht miteinander verträglich seien.
Zudem leistet das Buch sachlich das, was es verspricht, es ist wirklich
geeignet, als Einleitung in das Studium der Verfassung zu dienen und den
dem Gegenstand noch fremden Anfänger nicht blos mit den Richtpunkten
seines Studiums vertrautzu machen, sondernzugleich auf einen freien und weitern
Standpunkt zu stellen, der ihm einen Ueberblick über verschiedene Möglich-
keiten verfassungsmässiger Gestaltung gibt. Dass er dabei die Gegensätze
mit möglichster Präcision darzustellen sucht und störende Details bei Seite
lässt, kann nur gebilligt werden, ebenso dass er die gewählten Beispiele in
voller Anschaulichkeit vorführt. Der Verfasser bewährt sich in alle dem
als das, was er wirklich ist, als Lehrer, der seinem Berufe mit Leib und
Seele ergeben ist und daher auch dessen Anforderungen volles Verständniss
entgegenbringt. Als solcher hat er kein Bedenken getragen, seine Vor-
lesungen, so wie er sie gehalten, zu veröffentlichen. Sollte dieses Beispiel
nicht auch bei uns Nachahmung verdienen und der Schüler, von dem bestän-
digen Nachschreiben der Vorlesungen befreit, durch eingehende Erörterung
und Besprechung der Einzelpunkte zu selbständiger und ungleich tieferer
Erkenntniss gebracht werden können? Dass allgemeiner Verwirklichung dieses
Gedankens ungeheuere Schwierigkeiten entgegenstehen, ist zweifellos; und
dennoch scheint darin vor Allem die Möglichkeit einer gedeihlichen Umge-
staltung unseres akademischen Unterrichts zu beruhen.
Oxford. Erwin Grueber.
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The Law and Custom of the Constitution, Part I Parliament, by
Sir William R. Anson, Bart., D.C.L., of the Inner Temple,
Barrister-at-Law, Warden of All Souls College, Oxford.
Oxford at the Clarendon Press 1886 (p. XIX u. 336).
Der Titel des Buches ist bezeichnend; er verräth dem kundigen Leser
sofort, dass der Verfasser von dem den englischen Juristen überhaupt ge-
läufigen Rechtsbegriff ausgeht. Vom Recht und der Gewohnheit der Ver-
fassung wird gehandelt, weil Recht im Sinne dieser Ansicht nur aus den in
Form eines eigentlichen (d. h. Parlaments-) Gesetzes oder einer richterlichen
Entscheidung erscheinenden Rechtsvorschriften besteht, die Darstellung dieser
Rechtsvorschriften aber ein höchst unvollkommenes Bild der englischen Ver-
fassung gewähren würde. Diese Vermuthung bestätigt ein Durchblick des
ersten Kapitels des Buches, das den Gegenstand des Verfassungsrechts näher
zu bestimmen, in der Gesammtheit des Rechtssystems einzuordnen und ihn zu-
gleich von andern verwandten Wissensgebieten abzugrenzen sucht. Dass dieser
Abschnitt uns nicht recht befriedigen will, ist nur zu begreiflich und hat seinen
Grund in der verhältnissmässig geringen Durchbildung, welche die juristischen
Grundbegriffe bisher in England erfahren haben. Der Verfasser hat sich
hier im Wesentlichen der herrschenden Theorie angeschlossen.