— 375 —
wesentlich in Frage gestellt würden ?®). Wenn man sich jedoch
in dieser Hinsicht nicht auf die Vernünftigkeit der jeweilen re-
gierenden Personen verlassen wollte, so müsste allerdings con-
sequentermaassen auch die Dringlichkeitsclausel in Art. 89 der
Bundesverfassung gestrichen werden, mittelst welcher jeder Be-
schluss, auch die Ratification eines Staatsvertrags, unanfechtbar
gemacht werden kann. Theoretisch am richtigsten würde es sein,
diese Clausel bei jedem Staatsvertrage anzuwenden, oder um-
gekehrt, wenn man das Referendum nicht ausschliessen will,
jedem Staatsvertrage den Beschluss und die Vollmacht, einen
solchen abzuschliessen, vorangehen zu lassen, gegen welchen
Beschluss dann das Referendum ergriffen werden könnte.
Weniger bedeutende Fragen, die aber auch schon zur Be-
sprechung gekommen sind, sind die über das Verhältniss der
Vollziehungsverordnungen zu den Hauptgesetzen, in der Eid-
genossenschaft sowohl als in den Cantonen, und über blosse Be-
seitigung von bestehenden Gesetzen durch Beschlüsse. Was zu-
nächst die letztere Frage betrifft, die besonders im Jahre 1882,
bei Anlass der Aufhebung eines Bundesgesetzes über Anwendung
des gelben Phosphors bei der Zündhölzerfabrikation, zur Sprache
kam, so ist es offenbar und seither unbestritten, dass ein Bundes-
beschluss ebensowohl einen solchen rein negativen, als einen posi-
tiven Inhalt haben und also ein bestehendes Gesetz beseitigen
kann, ohne ein neues an seine Stelle zu setzen. Ebensowenig
wird bezweifelt werden können, dass die Aufhebung eines Gesetzes
ein „allgemein verbindlicher“ Beschluss ist.
Dagegen wäre es allerdings nach dem strieten Wortlaut der
Verfassung zulässig, einen solchen Aufhebungsbeschluss durch die
Dringlichkeitsclausel unanfechtbar zu machen, somit möglicherweise
die ganze Bundesgesetzgebung ohne Referendum allmählig zu be-
seitigen, so lange nicht der Grundsatz unzweifelhaft feststeht, dass
jeder Beschluss, welcher ein bestehendes Gesetz ganz oder theil-
3) Z. B. eine Zollunion mit einem Nachbarstaat, wie sie Liechtenstein
mit Oesterreich besitzt, Allianzen, Abschluss von Conventionen über Militär-
strassen, Gestattung von Eisenbahnen im eigenen Lande, die in fremder
Staatsverwaltung stehen, Austausch oder Abtretung grösserer Gebietstheile
durch friedlichen Vertrag.