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von 1839 unter dem Titel und Gesichtspunkt von „Landespolizeilichen
Decreten“ lediglich auf Grossrathsbeschlüssen beruhten ®). Bei sehr
wesentlichen F'ortschritten des staatlichen Lebens hat jedoch auch
das gesammte Volk durchwegs dem Vertrauen aufseine Einsicht ent-
sprochen. Es besteht in Graubünden seit langer Zeit eine viel
bessere einheitliche, codifizirte Civil- und Strafgesetzgebung als in
den meisten anderen Cantonen, eine moderne Steuergesetzgebung
ist (zwar nach verschiedenen Anläufen) ebenfalls auf dem Wege
des Referendums durchgesetzt worden, das nicht bemittelte Land,
ohne irgend nennenswerthes Staatsvermögen, hat eine Reihe von
grossen und schwierigen Strassen gebaut und erhalten, die jeden
Vergleich mit einem ähnlichen anderen Staate sei es der Schweiz
oder des Auslandes weit hinter sich zurücklassen °®). Weniger
sicher erscheint der Erfolg der Institution in dem Canton Wallis,
wenigstens spricht dagegen die stete Beschränkung, die dieselbe
»2) Die oft aufgeworfene Behauptung, dass das Referendum in Graubünden
den Wald verwüstet habe, ist ganz unrichtig und kann nur von Personen
geäussert werden, die die dortigen Verhältnisse nicht kennen. Es wäre zwar
vielleicht der Fall gewesen, wenn man nicht Forstgesetze ohne Referendum
gemacht hätte. Thatsächlich jedoch bestand in Graubünden schon seit
vielen Jahren eine mindestens eben so gute Forstaufsicht als gegenwärtig.
Wenn man rechte Waldverwüstung sehen will, so muss man in das benach-
barte Land Tyrol gehen, wo stets eine Regierung von oben herab bestanden
hat. Die Gränze zwischen dem Graubündischen Münsterthal und Tyrol ist
sofort an den waldentblössten Abhängen kenntlich.
Ein Vorschlag das cantonale Obergericht aufzuheben, für den eine
grosse Agitation zu Gunsten der unteren, ziemlich souveränen, Gerichte
bestand, wurde trotzdem schon im Jahre 1812, unter sehr provisorischen
Verhältnissen, mit 32 gegen 31 Hochgerichtsstimmen verworfen.
95) Selbst in geringeren Sachen bewährte sich das Referendum immer,
wenn es nicht agitatorisch missbraucht wurde. So wurde schon vor dem
Jahre 1866 ohne Anstand eine alte Verordnung aufgehoben, die den Israeliten
den Aufenthalt in Graubünden versagte, ferner ein unpraktisch gewordener
Advocatentarif beseitigt, obwohl seine Aufrechterhaltung von materiellem
Vortheil für die Bevölkerung gewesen wäre. Vorschläge zu Polizeistrafgesetzen
wurden verworfen, weil körperliche Strafen dadurch eingeführt werden
wollten. Ueberhaupt ist nicht jede Verwerfung einer Gesetzesvorlage ein
Beweis, dass die Institution nicht gehörig fungirt, wie es manche oberfläch-
liche Beurtheiler ansehen, sondern sehr oft fungirt sie eben gerade gehörig,
wenn sie ablehnend wirkt.