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mittels ausgestattet und gewährt die möglichst geringe Garantie
für eine ruhige und besonnene Handhabung. Namentlich desshalb,
weil die Vetirenden die Sache völlig in ihrer Parteihand behalten
und die Staatsgewalt dieser allmählig entstehenden und lawinen-
artig sich ausbreitenden Bewegung gewissermaassen unthätig zu-
zusehen hat, während sie bei dem facultativen Referendum,
nachdem dasselbe einmal ergriffen worden ist, die Abstimmung
doch unter ihrer eigenen Autorität anordnet und die stimmenden
Bürger sich nicht bloss in eine active, politisch lebendige und in
eine passive, träg in das Geschehene sich ergebende Masse aus-
scheiden. Es ist daher mit Grund verlassen worden.
Immerhin ist aber auch das facultative Referendum unzweifel-
haft agitatorischer als das obligatorische, indem doch zum Behuf
seiner Ergreifung eine gewisse Aufregung gegen den vorhandenen
Erlass veranlasst werden muss, bei welcher es ohne Ueber-
treibungen und Erregung des Misstrauens gegen die gesetzgeben-
den Körperschaften selten abgeht. Namentlich wenn etwa von einer
Partei zeitweise systematisch die Parole ausgegeben wird, gegen
alle Beschlüsse der Repräsentanten das Referendum zu ergreifen,
oder dasselbe überhaupt gar zu oft und ohne hinreichenden Grund
ergriffen zu werden pflegt, so hat diess eine steigende ungesunde
Nervosität, oder schliesslich auch tiefe Verstimmung, Ermüdung
und gänzliche Abwendung grosser Volkstheile von allen öffent-
lichen Angelegenheiten, die sie nur noch als Parteisachen be-
trachten können, zur Folge, und beides gehört zu den gefährlich-
sten Krankheitserscheinungen, denen ein republikanischer Staats-
körper unterliegt!!°).
Das Veto wird kaum mehr irgendwo eingeführt werden, sondern als
definitiv durch das facultative Referendum verdrängt zu betrachten sein.
Es besteht dermalen in der Schweiz nirgends mehr als allgemeine politische
Institution. Früher bestand es zeitweise, ausser in St. Gallen, noch in
Wallis, Thurgau und Schaffhausen. In Zürich wurde es im Jahre 1842 nach
grossen Debatten abgelehnt. Das bernische Kirchengesetz vom
18. Januar 1874 räumt den einzelnen Kirchgemeinden noch ein eigen-
thümliches Veto gegen Synodalbeschlüsse über Lehre und Kirchenzucht
ein. Jede Kirchgemeinde kann sich durch Veto davon emanzipiren und
andere Anschauungen für sich beibehalten.
110) In solchen Fällen könnte ernstlich in Frage kommen, ob eine conse-