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Noch wichtiger ist, dass diese Einrichtung die Gesetzgeber
von vornherein nöthigt, die Gesetze richtig abzufassen. Sie dürfen
nicht in eine allzu rapide Gesetzesfabrikation verfallen, müssen die
(resetze einfach, kurz und gemeinverständlich machen und müssen
überhaupt trachten einfache Staatsverhältnisse zu erhalten
und nicht Alles durch den Staat reglementiren zu wollen. Als
Schranke gegen die Staatsomnipotenz und die ihrer Natur gemäss
stets überwuchernde Bureaukratie, sowie gegen eine gewisse
technisch-gelehrte Gesetzgeberei, die weitläufiger Commentare
bedarf, um verstanden zu werden, ist das Referendum unend-
lich viel wirksamer , als jede Belehrung. Es erfreut sich daher
auch meistentheils nicht der Gunst der Bureaukraten und unermüd-
lichen Gesetzesfabrikanten !?7). Einfache Gesetze und einfache
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Unterricht“ herausgegeben. Das Alles aber hat nicht entfernt die Wirksam-
keit, die das Referendum in einer dazu ordentlich vorbereiteten und geeig-
neten Bevölkerung ausübt.
127) Der gemeine Mann hat eben dafür keinen Sinn, sondern vielmehr
in hohem Grade den Sinn, der merkt, wo in einem Dinge nichts steckt als
leere Formen und Worte und für die wirklichen und berechtigten Interessen
nichts gewonnen wird. Die Opposition gegen die Volksrechte hängt vielfach
zusammen mit der Ueberschätzung der bloss intellectuellen Bildung und mit
der Meinung, durch dieselbe allein sei der Welt zu helfen. Darauf kommt
es in einem geordneten Staatswesen keineswegs so sehr an, sondern weit
mehr auf den ganzen Charaktergehalt des Volkes. An diesem Irrthum ist
aber jetzt Alles krank, von der Kinderschule bis zur obersten Staatsleitung.
„Viel bequemer ist es“, wie ein politischer Schriftsteller richtig sagt:
„wenn man einmal die Macht besitzt, seine Ansichten selbst in's Leben zu
führen, als Andere erst noch von der Richtigkeit derselben überzeugen zu
müssen“. Damit erledigen sich Urtheile, wie sie mitunter in deutschen
Zeitungen über die schweizerischen Volksabstimmungen gefunden werden.
Eine solche meinte bei einer der letzten derselben z. B. „Nur wenige der
Hunderttausende, die zur Urne gegangen seien, hätten wohl ein selbstständi-
ges Urtheil von der Vorlage sich gebildet. Um so höher müsse es allerdings
geachtet werden, dass die grosse Mehrzahl sich auf den Standpunkt der von
ihnen gewählten Vertreter der Bundesversammlung gestellt habe“. Eine
solche Beurtheilung des schweizerischen Volkes hat nicht nur keine Logik,
sondern ist auch factisch vollständig irrig.
Auch in den repräsentativ eingerichteten Cantonen bestand übrigens
schon längst eine, allerdings kaum zu einpfehlende, Art von „stillschweigen-
dem“ Volksreferendum, nämlich so, dass eine grosse Zahl von unpraktischen
und unnöthigen Gesetzen nach kurzem Bestande wenig Beachtung fanden
Archiv für öffentliches Recht. II. 3. 29