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natürliche Verhältnisse gehören allerdings dazu. Sollte es aber
nicht in der Aufgabe auch der Staatswissenschaft liegen, solche
wo möglich herbeizuführen und das Staatswesen von der Unzahl
von Gesetzen und Verordnungen zu befreien, die in den meisten
Staaten eigentlich nur noch den Gelehrten oder den damit
unmittelbar arbeitenden Beamten bekannt sind, dem gewöhnlichen
Manne aber zum Falistrick gereichen ?
2) Das Referendum ist im Weiteren das weitaus mächtigste
Erziehungsmittel, nicht allein desshalb weil überhaupt das
intensive Staatsleben ein solches ist, und jedes Gesetz, wenn es
ist, wie es sein soll, einen Bildungsstoff in sich tragen muss,
sondern noch aus zwei anderen naheliegenden Gründen. Es gib
dem Volke das lebendige Gefühl der Staatszugehörigkeit, also
den wahren Patriotismus, der sich namentlich bei dem gemeinen
Manne nur zu leicht verliert, wenn er den Staat nur als eine
Domäne einer gewissen regierenden Ülasse ansieht, die nach
seiner Ansicht den Vortheil davon hat und ılm bloss die stets
steigenden Lasten aufbürdet. Ueberhaupt eine solche verderbliche
Scheidung in zwei Olassen, die sich beinahe feindlich gegenüber
stehen, wie wir sie beispielsweise jetzt in dem Musterstaat der
constitutionellen Monarchie, Belgien, sehen, ist bei der Referen-
dumseinrichtung gar nicht denkbar. Es giebt dieselbe aber auch
dem gesammten Volke das Gefühl nicht bloss der Mitregierung
und Mitarbeit an den staatlichen Aufgaben, sondern, was viel-
leicht noch das Wichtigere ist, die Mitverantwortlichkeit,
wie keine andere Einrichtung. Von einer Missregierung gewisser
Stände kann nicht die Rede sein, jeder hat eben selber miss-
regiert; damit ist ein Masshalten auch im Unwillen, der sich nicht
gegen Andere kehren kann, geboten und ein beständiges Ventil
gegen jene gefährlichen Krisen geschaffen, in denen sich lange
leidende und unterdrückte Völker mitunter plötzlich in blinder
zerstörender Wuth gegen ihre bisherigen Lenker und Halbgötter
wenden.
und gewissermaassen von selbst verschwanden. Etwa so wie einst ein Glarner-
Landschreiber im 16. Jahrhundert an den Rand einer solchen Verordnung
schrieb: „Hat nie vil gulten“.