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oder nicht, und eine viel grössere Unabhängigkeit des Urtheils und
Festigkeit gegen Bearbeitung als sie in grösseren parlamentarischen
Versammlungen in der Regel gefunden wird !??).
4) Endlich hat, wie bereits dadurch ersichtlich geworden, das
Referendum den grossen Vortheil, dass es die sogenannten
„gebildeten“ Stände nöthigt, in beständigem Contact
mit den unteren Volksklassen zu bleiben und für deren
fortdauernde Erziehung und Belehrung zu sorgen. Es ist also
der allerwirksamste Hebel der Volkserziehung auch in diesem
prophylaktischen Sinne. Ein geistig ganz beschränktes Volk als
Gesetzgeber würde allerdings gefährlich sein und ebenso bedenklich
ist ein Volksthum in dieser dominirenden Stellung, das sich als eine
besondere Kaste gegenüber einer Art von Herrenthum fühlt. Es
ist dabei nicht unsere Meinung, dass der Vortheil des näheren
Umgangs zwischen den beiden natürlichen Classen, die auch in
der Demokratie immer vorhanden sein werden und durch keine
künstlichen Maassnahmen zu egalisiren sind !?°), nur auf Seite der
von Belgien weiser, welcher sagte, man müsse sich zufrieden geben, wenn die
Arbeit der Kammern nur zur Hälfte gut ausfalle. Die Wahrheit ist, dass
alle und jede Staatseinrichtungen irgend etwas Unvollkommenes an sich
tragen.
132) Solche grosse Versammlungen von mehreren Hundert Personen
sind eigentlich genau genommen, die allerunzuverlässigsten Gesetzgeber, der
Bearbeitung, Einschüchterung, Parteidisciplin mindestens eben so zugänglich,
wie die ganze Volksmasse, in der der gesunde Menschenverstand weniger
unterdrückt werden kann, und der Einzelne sich freier und unbeeinflusster
bewegt. Man braucht nicht TAme oder BucHEr. oder gar CARLYLE in seinen
„latter day pamphlets“ zu lesen, um die Voraussetzung der halben oder ganzen
Unfehlbarkeit des Parlamentarismus, von der die Gegner des Referendums
stets ausgehen, nicht zu theilen. Sie ist übrigens dermalen hinreichend er-
schüttert. Das Wesen des Parlamentarismus ist unbestimmte Gewalt mit
gleichzeitiger Vertheilung der Verantwortlichkeit auf Viele; nirgends kommen
die bloss negativen, kritisirenden Leute und alle Mediocritäten leichter zur
Geltung. Daher werden durch langes Sitzen in Parlamenten sehr viele
Menschen verdorben und wenige eigentlich geistig freier und unabhängiger.
15°) Durch solche Versuche machte sich die französische Revolution
lächerlich. Gebildete und Ungebildete muss es immer geben, wie Arme und
Reiche, jeder Versuch dies grundsätzlich zu beseitigen, verfällt dem Schick-
sale jener vorbildlichen Zeiten von 1790-93, d. h. die Gleichheit wird nur
durch Herabdrückung der Bildung überhaupt erreicht. Aber das Aufsteigen aus