Full text: Archiv für öffentliches Recht.Zweiter Band. (2)

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materiellen Sinne des Wortes ein minus, kann nicht oft genug 
berichtigt werden. Mit diesem Irrthum hat es ungefähr dieselbe 
Bewandtniss, wie mit der oft vorgebrachten Behauptung, dass der 
Verordnung ein geringeres Mass von Verbindlichkeit innewohne 
als dem Gesetze. Sowie man hier nur von der Verbindlichkeit 
oder der Unverbindlichkeit der Verordnung, nicht aber von einem 
höheren oder geringeren Grade ihrer Verbindlichkeit sprechen 
kann !!), so handelt es sich auch in unserem Falle nur darum, 
ob dem Finanzgesetze die materiellen Wirkungen eines wahren 
(tesetzes oder jene eines Verwaltungsaktes beigelegt werden können; 
zwischen diesen beiden Wirkungen besteht wohl ein qualitativer, 
keineswegs jedoch ein quantitativer Unterschied. 
Wir können daher das Ergebniss unserer bisherigen Betrach- 
tungen kurz dahin zusammenfassen: 
Das Finanzgesetz kann wohl Rechtssätze enthalten, und 
wenn und insoweit dies der Fall ist, hat dasselbe auch die mate- 
riellen Wirkungen des Gesetzes. Dies gilt jedoch niemals von 
der Zusammenstellung der in der Etatsperiode zu gewärtigenden 
Staats-Einnahmen und Ausgaben, welche Zusammenstellung eben 
das Wesen des Staatsvoranschlages ausmacht. Mit Rücksicht auf 
diese seine Wesenheit wird dem Budget mit Recht der Charakter 
eines Gesetzes im materiellen Sinne des Wortes abgesprochen. Ob 
dies aber in Betreff aller Bestimmungen des sogen. Finanzgesetzes 
zutrefie, lässt sich nur von Fall zu Fall beurtheilen, und es ist 
durchaus nicht ausgeschlossen, dass das Finanzgesetz zum Theile 
(nämlich in Ansehung einzelner Anordnungen desselben) mate- 
rielles, zum Theile (nämlich in Ansehung seines sonstigen In- 
haltes) formelles Gesetz, ein in den Formen des Gesetzes zu Stande 
gekommener Verwaltungsakt sei. 
11) Wenn SEIDLER a. a. O., S. 198 darauf hinweist, dass nach der 
österr. Verfassung die Gerichte befugt sind, die Giltigkeit der Verordnungen 
zu prüfen, während ihnen die Prüfung der Gültigkeit gehörig kundgemachter 
Gesetze nicht zusteht, so ist dies wohl als richtig zuzugeben, jedoch als ganz 
unentscheidend zu bezeichnen. Der Richter kann wohl eine seiner Ansicht 
nach ungiltige Verordnung ignoriren; hat er aber die Frage der Giltigkeit 
nicht verneint, so muss er der Verordnung ganz dieselbe Verbindlichkeit 
vindiziren, wie dem Gtesetze.
	        
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