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Doch kann mit Rücksicht auf das Gesagte dem Rekruten-
gesetze, auf welchem einzig und allein die Verpflichtung einer
gewissen Anzahl von Staatsbürgern zur Leistung der Wehrpflicht
in einem erhöhteren Masse beruht, der Charakter eines
Gesetzes im materiellen Sinne des Wortes nicht abgesprochen
werden.
Wie stellt sich aber die Sache dann, wenn die Friedens-
präsenzstärke bezw. der Kriegsstand des Heeres bereits durch
ein anderes Gesetz entweder dauernd, oder auf eine längere
Reihe von Jahren fixirt ist, wie dies dermal in Deutschland (auf
7 Jahre) und in Oesterreich (auf 10 Jahre) der Fall ist? In
diesem Falle hat die nebenher erfolgende jährliche Votirung
des Rekrutenkontingents nur die Bedeutung eines Calculs, ın
dem berechnet wird, wie viel Wehrpflichtige jährlich ın das
stehende Heer eingereiht werden müssen, um die gesetzlich fest-
stehende Präsenzstärke intakt zu erhalten. Unter so bewandten
Umständen wäre die Regierung in dem Falle, wenn das Rekruten-
bewilligungsgesetz — wo ein solches noch neben der Fixirung der
Präsenzstärke erfordert wird — aus welchem Grunde immer nicht
zu Stande kommen würde, prinzipiell dennoch berechtigt, so viele
Wehrpflichtige des betreffenden Jahres in das stehende Heer
einzureihen, als zur Erhaltung der gesetzlichen Präsenzstärke im
Sinne der bestehenden Einrichtungen erfordert werden. Aus der
Ablehnung des Rekrutengesetzes würde dann für die Regierung
lediglich der Nachtheil erwachsen, dass ihr — wie dies in dem
analogen Falle der Nichtbewilligung einer gesetzlich zu leistenden
Ausgabe hervorgehoben wurde — der Beweis obliegen würde,
dass thatsächlich das in Anspruch genommene Kontingent zur
Erhaltung der gesetzlichen Präsenzstärke erforderlich war. Dann
ist aber in der That die jährliche Votirung des Rekrutenkontin-
gentes im Wesen ein Verwaltungsakt, ein Gesetz lediglich
im formellen Sinne des Wortes °?).
#2) Nach dem positiven Rechte der einzelnen Staaten stellen sich die
Folgen der Frustrirung der Militärgesetze allerdings verschieden heraus.
In Deutschland hätte in dem Falle, wenn ein neues Gesetz über die fernere
Präsenzstärke nicht zu Stande kömmt, der Kaiser sowohl den Präsenzstand
als auch die Zahl der jedes Jahr in das Heer einzustellenden Rekruten zu