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Mangel eines Eintheilungsgrundes der Culturen bei den Eng-
ländern, nicht als ein wissenschaftlich ungerechtfertigtes Vorgehen
verwerfen. Merkwürdiger Weise hat STOERK selbst einen solchen
und zwar absoluten Maassstab aufzustellen versucht, nämlich die
ethische Qualität der Erscheinungen. Ob diese hiezu geeignet
ist, ist eine m. E. zu verneinende Frage. Was zunächst die
Bezeichnung von Kindesliebe, Hingebung für die Zwecke der
(remeinschaft, Regel im Geschlechtsleben als „primäre Erhaltungs-
bedingungen jedes gesellschaftlichen Verbandes“ angeht, so kann
die Thatsache, dass sie wirklich von Uranfang bei jedem Stamme
vorhanden waren, doch nicht als ein selbstverständliches Factum
a priori acceptirt werden, es handelt sich hier vielmehr um eine
Reihe von der entferntesten Vergangenheit angehörigen historischen
Thatsachen; können dieselben nicht unmittelbar aus der physio-
logischen Natur des Menschen erschlossen werden — was nicht
der Fall ist — so muss ihr Vorhandensein oder Nichtvorhandensein
bewiesen werden wie das jeder anderen historischen Thhatsache.
Diese Behauptung setzt weder eine Alles negirende und
erschütternde Skepsis voraus, noch die Beurtheilung der
betreffenden ethischen Güter als schlechthin werthlose aprioristische
Bildungen, eine Beurtheilung, der sich thatsächlich kaum einer
der Hauptvertreter der sociologischen Rechtswissenschaft würde
bedienen wollen. Wir können ganz wohl als Thatsache anerkennen,
dass Kindesliebe, Regel im Geschlechtsleben u. s. w. einmal im
Dasein der Menschheit nicht existirt haben und sie dennoch als
die besten, nützlichsten, edelsten Triebe ansehen. Es bleibt die
Frage offen, ob wir eine Urzeit, welcher diese Ideen fremd waren,
nichts desto weniger ethisch verdammen dürfen; sollte aber die
Anwendung unseres ethischen Maassstabes auf jene Zeit auch
wirklich am Platze sein, so liegt sie doch nicht innerhalb des
Forschungsbereiches der ethnologischen Rechtswissenschaft. Sollte
es gelingen die Gesetze der Erscheinungen, ihren streng causalen
Zusammenhang nachzuweisen, so könnte man ihre ethische Beur-
theilung ruhig einer ferneren Zukunft überlassen. Dieselbe ist um
so weniger dringend, als die Ethik selbst bekanntlich noch sehr im
Argen liegt und nicht einmal ihren Grundprincipien nach feststeht.
In der sociologischen Rechtslehre ist es hiemit wie in der