— 565 ° —
ethnographischen Materials ist, dass es an Zuverlässigkeit und
Verständlichkeit hinter demjenigen verschiedener anderer Disciplinen,
beispielsweise der germanistischen Rechtswissenschaft keineswegs
zurücksteht, und den ihm innewohnenden eigenthümlichen Schwierig-
keiten gegenüber ausgedehnte Mittel der Correctur und Controle
in sich birgt, indem hier die Natur durch die unendliche Ver-
schiedenheit ihrer äusseren Einflüsse auf die Menschen in gross-
artigstem Maassstab das Experiment ersetzt, und uns unterscheiden
lehrt, welche Erscheinungen von äusseren Einflüssen unabhängig
also der menschlichen Natur eigenthümlich und welche durch
locale Verhältnisse bedingt sind. Den Werth der Resultate
beurtheilt nun STOERK folgendermaassen: „Hier ist“, sagt er, „die
Constatirung einer Erscheinung, die wir unserer Auffassung nach
als Glied einer primitiven Rechtsordnung qualificiren, die Aus-
schöpfung ihres wissenschaftlichen, besser rechtsgeschichtlichen
Werthinhaltes.* „Die Thatsache bleibe unverbunden und unver-
bindbar bestehen inmitten einer Wolke gleich isolirter Daten,
welche wir nur im Wege einer gekünstelten Denaturirung in die
(tussform unserer Rechtsanschauung, unserer Rechtslehre und
unserer Rechtsterminologie bringen können.“ Uns scheint dieser
Vorwurf auf die bisher entdeckten Institutionen der Vorzeit nicht
zu passen. Ueberall zeigen sich uns vielmehr fruchtbare und
interessante Anknüpfungspunkte an das Recht der historischen
Zeit. Wenn wir unsere moderne Rechtsterminologie gebrauchen,
so werden doch darüber die Unterschiede zwischen den primitiven
und den jetzigen Rechten nicht vergessen. Es ist nicht abzusehen,
warum wir nicht Namen wie Eigenthum, Familienvater, Ehe, u. s. w.
gebrauchen sollen, wenn der Inhalt der urzeitlichen Rechte unseren
diesbezüglichen Begriffen entspricht. Selbst wo dies nicht in
vollem Maasse der Fall ist, werden wir, unter ausdrücklicher
Feststellung der obwaltenden Abweichungen, dennoch und mit
Vortheil die gewohnte Terminologie nicht verlassen. Es ist
allerdings nur zu wahr, dass die Darstellungen mancher Ethno-
logen — es ist überflüssig sie zu nennen — nichts sind als eine
Wolke isolirter Daten, es liegt dies jedoch weder an der Natur
des Gegenstandes, noch an jener des Materials, sondern einzig
an einer ungeschickten und unwissenschaftlichen Handhabung der