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sie unterwerfen sich ihm thatsächlich, arbeiten sie gegen denselben, so handeln
sie auf ihre Gefahr, vielleicht unklug, aber sicher nicht widerrechtlich oder
unpatriotisch. Die besetzende Macht muss solchen Widerstand unterdrücken, weil
sie ihn ihrer Sicherheit wegen nicht dulden kann, aber die Betreffenden verletzen
damit keine Verpflichtungen, weil sie solche nicht übernommen haben.
Im zweiten speciellen Theile behandelt Corsı die Frage, ob und in wie
weit der Sieger in dem besetzten Gebiet legislative Befugnisse ausüben
kann? Er entscheidet sich zunächst gewiss richtig dahin, dass derselbe die
politische Verfassung nicht ändern darf, weil dies ein wesentliches Recht der
Souveränetät ist, welche ihm nicht zusteht, dass aber weil die Ausübung
der nationalen legislativen Gewalt durch die Besetzung unterbrochen ist, der
Sieger wohl zeitweise bestehende Gesetze suspendiren kann. Dies erfordern schon
die Zwecke seiner Kriegführung, er wird z. B. unverweilt die Aushebung von
Militärpflichtigen verbieten, voraussichtlich auch die Vereins- und Pressfrei-
heit beschränken und nicht erlauben, dass die Bevölkerung politisches Wahlrecht
ausübe, falls es sich nicht wie 1871 in Frankreich um die Wahl einer Ver-
sammlung handelt, welche den Friedensvertrag genehmigen soll. Richtig ist auch
gewiss, dass er, falls in dem besetzten Gebiet Sklaverei herrscht, den Sklaven-
handel verbieten kann, nicht aber?das Recht der Sklavenbesitzer einseitig
und ohne Entschädigung beseitigen kann, zu ersterem ist er berechtigt, weil
der Sklavenhandel dem Völkerrecht widerspricht, während der Besitz von
Sklaven immerhin ein ius quaesitum ist. Der Fall in den Vereinigten Staaten
1863 lag anders, da deren’ Regierung die Souveränetät über die Südstaaten
in Anspruch nahm. Im Allgemeinen bleibt überhaupt das Privatrecht für
die besetzende Macht ebenso unantastbar wie das Strafrecht, doch lassen
sich auch Fälle denken, wo sie beides modificirt, z. B. ein Moratorium
erlässt, gewisse sonst erlaubte Handlungen bei Strafe verbietet. Die richter-
liche Competenz bleibt unberührt, die Ausführung des Erkenntnisses eines
Appellhofes ausserhalb des besetzten Gebietes wird nur bis zum Frieden
suspendirt, ob dagegen das Gleiche für die Auslieferung fremder Verbrecher
gilt, wofür Verträge mit dem betr. auswärtigen Staat bestehen, dürfte
nicht unbedingt zu entscheiden sein, an sich ist kein Grund vorhanden,
wesshalb nicht bei Besetzung eines französischen Gebietes 1870 ein sich da-
selbst aufhaltender englischer Wechselfälscher von der deutschen Behörde
ausgeliefert werden sollte. Am weitesten muss das Recht des besetzenden
Staates natürlich in Bezug auf die eigentliche Verwaltung gehen, er hat
einerseits dafür zu sorgen, dass dieselbe fortdauert und nimmt die Beamten,
wie sie dieselben findet, aber behält sich die oberste Leitung vor, welche
ihm eine Gewähr giebt, dass die Interessen seiner Kriegsführung gewahrt
bleiben; dass dabei die Freiheit des Verkehrs mannigfache Beschränkungen
leidet, ist unvermeidlich. Auf alle Einzelfragen in dieser Beziehung einzugehen,
fehlt hier der Raum, die leitenden Grundsätze ergeben sich meist aus den
angeführten der Brüsseler Conferenz: dass die deutsche Kriegführung in
Frankreich nicht überall das richtige Maass eingehalten hat, wie z. B. bei
dem Verlangen für Vergehen der Freibeuter Geiseln zu stellen, ist zuzugeben.
Im ganzen werden diese Fragen von Corsı besonnen und eingehend erörtert
und sein Buch bietet bei einzelnen Ausstellungen, wie die erwähnten, eine
werthvolle Bereicherung der völkerrechtlichen Litteratur über das Kriegsrecht.
Geffcken.