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Beschluss von Bundesrath und Reichstag vorläge, das Zustande-
kommen eines Gesetzes verhindern ??). Die weitere Verfolgung
dieser Frage kann aber hier zunächst ausgesetzt bleiben. Denn
ist, wie später nachzuweisen sein wird, der Kaiser Träger der
gesetzgebenden Gewalt, so kann er zweifellos seine Mitwirkung
in jedem Stadium der Gesetzgebung ablehnen.
Es wird zweitens die Frage aufgeworfen: Kann der Kaiser
die Ausfertigung und Verkündigung einesReichsgesetzes verweigern ?
In der Literatur ist nur vereinzelt die Ansicht zum Ausdrucke
gelangt, dass dem Ausfertigungs- und Verkündigungsrechte des
Kaisers eine gleichartige Verpflichtung nicht entspräche, und so-
mit dem Kaiser ein Veto durch Verweigerung der Ausfertigung
zustehe“*). Allgemein wird aus den Bestimmungen der Reichs-
verfassung, wonach die Uebereinstimmung von Bundesrath und
Reichstag zu einem Gesetze erforderlich und ausreichend ist, und
der Bundesrath stets über die Beschlüsse des Reichstags zu be-
schliessen hat, auch wenn sie sich mit der Vorlage der verbün-
deten Regierungen decken, die Folgerung gezogen, dass der
Bundesrath als unmittelbarer Vertreter des Collectivsouveräns
die Sanction ertheill. Somit wäre durch den letzten Beschluss
des Bundesrathes das Reichsgesetz bereits zuStande gekommen. Der
Kaiser könnte es also nicht mehr hindern, müsste vielmehr, da
es seine Pflicht ist, den Gesetzen Geltung zu verschaffen, die
Ausfertigung und Verkündigung vollziehen. Diese Verpflichtung
hätte aber der Kaiser nur dann, wenn wirklich ein verfassungs-
mässiges Gesetz vorliegt. In letztere Beziehung wird ihm vor der
Ausfertigung ein Prüfungsrecht und eine Prüfungspflicht einge-
23) Vgl. über die Frage und den derselben zu Grunde liegenden Fall
HÄneL, Organisatorische Entwicklung S. 46 ff., LapannD, Reichsstaatsrecht
Bd. 1, S. 536, HenseL in Hırrm’s Ann. 1882, S. 14, G. MEYER, Staaterecht
(3. A.), S. 374, welche sämmtlich dieses Recht des Kaisers leugnen, Verh.
des Reichstages vom 24. Februar 1881, Sten. Ber. Bd. 1, S. 30.
24) v. MArrtırz, Betrachtungen über die Verfassung des nordd. Bundes
(1868), S. 45, DERNBURG, Lehrbuch der Pandekten $ 25.