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pfeiler für die gedeihliche Existenz des grossen Staats, treu ge-
blieben. Mit besonderer Entschiedenheit ist sie wieder in letzter
Zeit den von der Verwaltung stets favorisirten Exceptionen durch
Singulargesetze entgegengetreten. Der absolute Monarch will
seinen ihm historisch gewordenen und fortlaufend ganz mit
Recht zustehenden Willen haben, und auf diese Weise ıst der
Staatswille gut aufgehoben. In höherem Grade, als je ein ande-
rer, hat er das gemeinsame Wohl im russischen Staat gewollt.
Und er will es in objectiv geordneter Weise; er hat sich mit
dem Gesetzesbegriff für unlöslich solidarisch erklärt, denn er
ist sich dessen sehr wohl bewusst, dass eine solche Ordnung der
Dinge seine stärkste und sicherste Stütze ist. Systematisch steht
er wohl über dem Gesetz, aber inhaltlich (materiell) ist er mit
dem Gesetz ein Ganzes. In solcher Weise will der absolute
Monarch sein eigenstes Wesen. Abschnitt I in Theill ist auch
äusserlich in diese Gedankenfolge gleichsam eingeschlossen: Der
Anfang constatirt die unbeschränkte Monarchie mit deren volks-
thümlicher religiöser Weihe; das Ende will und ordnet das Princip
des Gesetzesstaates. Das ist der geschichtlich und legislatıv klar
ausgedrückte und feste Ausgangspunkt für eine juristische Con-
struction der russischen Staatsrechtswissenschaft, die im Detail
ein ausreichendes Gesetzesmaterial zu verarbeiten hat, dessen
Principien und Einzelheiten in nächster und engster Fühlung mit
den Begriffen des modernen Staats stehen. Diese unleugbaren
Nothwendigkeiten und Thatsachen stellen sich über alle Partei-
umtriebe in jeglicher Gestalt, die den Gesetzesstaat nicht erfassend
oder perhorrescirend, ıhn als unnatürlich für das russische Reich
behaupten wollen! Besonders belehrend und einleuchtend wird
die moderne Richtung des russischen Rechtsstaats belegt durch
die Geschichte der meist sehr voluminösen Commissionsarbeiten,
die allen bedeutenden Legislationsakten zu Grunde liegen.