— 123 —
vn.
1. Der Regent tritt zeitweilig an die Stelle des Kaisers,
grundsätzlich (s. S. 124) mit den gleichen Machtvollkommenheiten,
die dem Kaiser, als unumschränktem Selbstherrscher, zustehen.
Diese Sätze folgern wir aus Art. 19 und 28. Principiell und im
Allgemeinen ist solches auch schon an sich ganz selbstverständ-
lich: die Staatsgeschäfte können während der Regentschaftszeit
nicht suspendirt oder auch nur eingeschränkt werden, denn dem
natürlichen Gange des Staatslebens sollen durchaus keine Hinder-
nisse aus der Regentschaft entstehen. Dass dem Regenten die
kaiserliche Machtvollkommenheit zusteht, ıst ın der Anord-
nung über den von gesetzeswegen zu creirenden Regentschafts-
rath (Art. 28), man kann sagen, ausdrücklich festgestellt, denn
obgleich dieser alle sonst der kaiserlichen Beschluss-
fassung unterliegenden Geschäfte mit dem Regenten berathet,
so kommt doch die Entscheidung in denselben ausschliesslich
nur dem Regenten zu (Art. 28 und 29). — Es ist ganz natür-
lich (und das Gegentheil wäre widersinnig), dass für die zeit-
weilige Regentschaft die Form der Staatsverfassung nicht verän-
dert wird. Im modernen Staat ist es anders auch gar nicht
möglich. Der Regentschaftsrath ist daher kein Anlauf zur Oli-
garchie. Daher muss auch folgerichtig, der ganzen Anlage der
russischen Reichsgrundverfassung gemäss, als absolut bindend der
Satz gelten, dass gleichfalls der ernannte Regent nur als unum-
schränkter Selbstherrscher bestellt sein dürfe zur stellvertretenden
Fortsetzung der gesammten Herrschaftsrechte. Der Regent nach
russischem Staatsrecht bleibt principiell daher in allen Fällen
unumschränkter Selbstherrscher, wenngleich auch bloss
provisorischer. Auch die einzelnen Ausnahmen hiervon beschränken
das politische Wesen dieses Princips nicht.
3. Gehen wir sie einzeln durch. — Wir wissen: a. dass sowohl
der ernannte als auch der Intestatregent immer nur einer
sein könnte. Seine Stellung ist reichsgrundgesetzlich bestimmt;